Neumond: Kriminalroman (German Edition)
eigentliche Thema.
»Nicht mehr viel. Hat sich vor ein paar Tagen umgebracht. Was soll die ganze Fragerei?«
»Sie hat sich nicht umgebracht. Sie wurde ermordet.«
Jetzt hörte der Hausmeister das erste Mal auf zu putzen und sah Morell direkt an. »Wirklich? Wissen Sie schon warum und wer’s war?«
»Wenn schon, dann würde ich Ihnen ja wohl kaum hier auf die Nerven gehen.«
»Na, das ist ja mal was …« Er stützte sich auf seinem Wischmob ab und grübelte. »Sie war einer der wenigen Menschen hier drin, der sich nicht für etwas Besseres gehalten hat. Wir haben hie und da mal ein bisschen geplaudert. In den letzten Wochen wirkte sie dabei irgendwie …« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Ich würde sagen ›unentspannt‹ trifft es am besten. Ich glaube, es gab da irgendeinen Mann in ihrem Leben, der ihr Angst gemacht hat.«
»Kennen Sie seinen Namen?«
»Nein. So vertraut waren wir dann auch wieder nicht. Und es ist auch nur eine Vermutung.« Der Hausmeister tauchte den Mop in den Eimer. »Gott ist doch wirklich ein alter Zyniker.« Er fing wieder an zu wischen und ließ Morell einfach stehen.
Gott und die Menschen. ›Mit diesem Thema könnte man jahrelang sämtliche Talkshows füllen‹, dachte Morell. Er beschloss daher, nicht weiter über die Aussage des Hausmeisters nachzudenken, sondern sich lieber nach einer Bushaltestelle umzusehen. Auf Ninas Fahrstil wollte er sich heute kein zweites Mal einlassen, und eine gemütliche Busfahrt durch die verschneite Winterlandschaft stellte er sich außerdem ganz schön vor.
Auf dem Vorplatz wurde er von dicken Schneeflocken begrüßt, die langsam zu Boden rieselten.
»Pssst.«
Er drehte sich um.
»Hier!« Es war Isabella Salm. Sie stand ein paar Meter neben der Eingangstür und war mit ihrer weißen Haut und dem weißen Morgenmantel in all den Schneemassen kaum zu erkennen.
Er eilte zu ihr. »Um Gottes Willen, was machen Sie denn hier draußen?! Sie holen sich ja den Tod.« Er fasste sie vorsichtig am Arm, um sie nach drinnen zu führen.
»Nein, warten Sie kurz.« Sie sah sich um. »Ich muss Ihnen was erzählen, aber ich will nicht, dass uns jemand zuhört.«
»Geht das nicht auch drinnen? Mich friert ja schon, wenn ich Sie nur anschaue.«
»Nein, die Wände da drinnen haben Ohren.« Sie sah sich noch einmal um. »Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich dachte, Sie sollten das wissen. Berta Hölzel, das ist die Frau, mit der wir immer Bridge gespielt haben, ist letzte Woche überraschend gestorben. Ihr Sohn hat schon ziemlich lange und auch ziemlich ungeduldig darauf gewartet, dass seine Mutter einen Pflegeplatz dort oben kriegt.« Sie zeigte mit dem Finger in die Höhe.
»In einem der oberen Stockwerke?« Morell verstand nicht ganz. »Was ist denn da oben?«
»Nein.« Salm kicherte verhalten. »Nicht in einem der oberen Stockwerke. Im Himmel.«
»Ah.« Endlich war der Groschen bei Morell gefallen. »Und Sie glauben , dass er beim Tod seiner Mutter die Finger im Spiel hatte?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es kam mir einfach nur alles ein wenig komisch vor.« Sie zog ihren Morgenmantel fester zu. »Ich dachte, Sie sollten das wissen.«
Morell nahm sie am Arm und führte sie zurück zum Eingang. »Da haben Sie richtig gedacht. Ach ja und noch etwas: Kennen Sie zufällig den Hausmeister?«
»Den Herrn Lechner? Nicht wirklich … dem gehe ich so gut es geht aus dem Weg, weil er immer so ruppig ist.« Sie hielt kurz inne. »Bevor seine Frau den schlimmen Unfall hatte, soll er ganz anders gewesen sein.« Sie schüttelte traurig den Kopf, verabschiedete sich und ging zurück ins Sanatorium.
Morell beobachtete einen Krankenwagen, der einen verletzten, vor Schmerz laut stöhnenden Skifahrer ablieferte. »Sag ich’s doch: Skifahren ist nichts anderes als Selbstmord auf Raten«, murmelte er, steckte die Hände in die Manteltaschen und machte sich erneut auf die Suche nach einer Bushaltestelle.
Tatsächlich fuhr ein Ortsbus im Viertelstundentakt vom Sanatorium weg. Morell saß bereits kurz darauf in dem Bus und suchte in der Personalakte von Sabine Weigl vergeblich nach etwas Interessantem, als sein Handy läutete.
»Herr Chefinspektor Morell, ich bin es, der Oliver aus der Inspektion St. Gröben. Ich hoffe, ich störe Sie nicht, aber der Chef hat gemeint, ich soll Sie anrufen. Die Frau Weigl ist nämlich grad bei uns. Also, die Anita Weigl, nicht die Sabine – weil die ist ja tot und kann darum natürlich nicht hier
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