Neumond: Kriminalroman (German Edition)
wie ein hässlicher Käfer fühlte, den es so schnell wie möglich vor den sensiblen Augen der durchlauchten Gesellschaft zu verbergen galt. »Fahren Sie ins Dachgeschoss«. Er zeigte auf einen Fahrstuhl. »Das Büro des Direktors ist direkt vis-à-vis vom Aufzug.« Er wartete noch, bis Morell im Lift war, um sicherzugehen, dass der lästige Polizist tatsächlich aus seinem Zuständigkeitsbereich verschwunden war und eilte dann zurück zur Rezeption. »Herzlich willkommen, gnädige Frau«, war das letzte, was Morell hörte, bevor die Lifttür sich vor ihm schloss.
Als sich die Tür wieder öffnete, trat er auf einen Teppich, der so dick und flauschig war, dass er regelrecht darin versank. »Hallelujah«, murmelte er und schaute auf seine Schuhe, an denen immer noch Schneematsch haftete. In der Haut der zuständigen Putzfrau wollte er lieber nicht stecken. Diesen Teppich sauber zu halten war eine eigene Kunstform für sich.
Er klopfte an die große Doppelflügeltür vis-à-vis vom Aufzug, und als niemand antwortete, öffnete er sie vorsichtig einen Spalt breit und schielte in den Raum: Hölzels Büro war fast so groß wie die Eingangshalle und so pompös eingerichtet, dass das Büro von Dr. Bertoni dagegen wie ein billiger Ramschladen aussah. Vom obligatorischen Perserteppich über die Gemälde an den Wänden bis hin zu dem riesigen Kronleuchter an der Decke, um den ihn wahrscheinlich die Hälfte des europäischen Adels beneidet hätte, schrie hier alles nach Reichtum.
›Wenn im Hotelgewerbe so viel Geld zu machen ist, sollte ich vielleicht meine beiden Gästezimmer vermieten‹, überlegte Morell.
Seine Gedanken wurden durch ein ungehaltenes »Was soll das?! Sind Sie noch bei Trost?!« gestört, das von einem Mann Mitte 50 kam, der hinter einem mit Papieren behäuften Schreibtisch saß. Morell, der auf ein einfaches »Grüß Gott« eingestellt gewesen war, trat ein und starrte ihn mit großen Augen an. Hölzel sah eigentlich gar nicht so unsympathisch aus. Er war leger mit einer dunklen Hose und einem beigen Pulli bekleidet, hatte kurzes graumeliertes Haar und ein braungebranntes Gesicht. »Entschuldigung«, sagte Morell. »Ich hatte angeklopft.«
Hölzel winkte ab. »Nicht Sie«, flüsterte er und deutete auf sein Ohr, in dem ein kleiner Kopfhörer steckte. Er zeigte auf einen dick gepolsterten Sessel und widmete sich dann wieder seinem unsichtbaren Gesprächspartner. »Das Projekt ist jetzt mittlerweile einen ganzen Monat im Verzug, und mit jedem weiteren Tag verliere ich ein Vermögen«, schimpfte er.
Morell nahm Platz und stellte mit Entzücken fest, dass er sich gerade in den wohl bequemsten Sessel der Welt gesetzt hatte. Was war das nur für ein Material? Es fühlte sich an, als würde er auf einer Wolke sitzen. Für einen kurzen Moment schloss er sogar die Augen.
»Also, Herr …«
Morell schwelgte immer noch im siebten Komforthimmel.
»Herr …«
»Verzeihung …« Er kam zurück in die Realität. »Ich bin Chefinspektor Otto Morell und ich …«
»Wenn es um die Steuersache geht – das müssen Sie mit meinem Anwalt besprechen.« Jetzt erkannte Morell, was Danzer gemeint hatte, als er Hölzel als unangenehmen Zeitgenossen bezeichnet hatte. Der Hotelier starrte ihn so durchdringend an, dass Morell sich heimlich wünschte, er hätte eines von diesen blauen Glasaugen dabei, die vor dem bösen Blick schützten.
»Ihre Steuern interessieren mich nicht. Ich komme wegen Ihrer Mutter.«
»Meiner Mutter?« Damit hatte Hölzel offenbar nicht gerechnet.
»Sie ist ja letzte Woche im Sanatorium verstorben, und leider gibt es da noch einige offene Fragen.«
»Ich weiß, dass sie letzte Woche gestorben ist.« Hölzels eh schon recht dürftige Laune sank rapide. »Was soll da unklar sein?«
»Nun ja«, Morell bemühte sich, die Stimmung nicht noch mehr zu verschlechtern. »Ihr Tod kam doch recht plötzlich … und …«
»Plötzlich?«, fiel Hölzel ihm ins Wort. »Sie war schon seit Jahren am dahinvegetieren. Und warum geht Sie das überhaupt was an?«
»Es geht einfach nur darum, alle Eventualitäten auszuschließen.«
»Was für Eventualitäten?«
»Also …« Morell kam nicht dazu, den Satz zu beenden, da Hölzel, der mittlerweile hochrot angelaufen war, ihn unterbrach.
»Sie denken doch wohl nicht etwa, dass
ich
…?! Wegen meiner finanziellen Lage und dem Erbe?« Er war kurz vorm Explodieren. »Sie war meine Mutter, verstehen Sie?! Meine
Mutter
!«
»Für viele Menschen ist das
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