Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Sie hatte einen leisen Verdacht, worum es sich bei diesen Zeichen handeln könnte. Sie musste unbedingt mit Leander reden. Mittlerweile sollte der sich doch wieder halbwegs erholt haben.
Als sie gerade die Zimmertür aufsperren wollte, schlug sie sich auf die Stirn. »Mist!« Vor lauter Aufregung hatte sie doch glatt vergessen, eine Probe von der Farbe zu nehmen. Sie würde ein paar Farbpartikel ins Labor nach Wien schicken – ihre Kollegen sollten herausfinden, was genau es mit dem Blut auf sich hatte.
Mit großen Schritten eilte sie wieder zurück zur Treppe.
Leander war in Gedanken versunken und wühlte auf der Suche nach Inspiration gerade in Ninas weit geöffnetem Schrank herum, als er auf dem Gang Schritte hörte, die vor der Zimmertür stehen blieben. Er hörte einen Schlüssel klimpern.
Erschrocken hielt er die Luft an. Das konnte ja wohl nur Nina sein. Aber was machte sie hier? Warum war sie nicht auf der Piste? Was sollte er ihr erzählen, warum er immer noch seine Skiklamotten trug und anstatt im Bett zu liegen in ihren Sachen wühlte? Als ob die Stimmung nicht eh schon angespannt genug war. In den letzten achtundvierzig Stunden hatte sie ihn schon mindestens drei Mal beim Schwindeln erwischt. Kontrollierte sie ihn etwa? Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Er lauschte wieder. Die Schritte schienen sich wieder zu entfernen. Leise ging er zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und schielt hinaus. Tatsächlich – Nina ging zurück zur Treppe. Was machte sie nur? Egal, dachte er und schloss die Tür. So schnell wie möglich schälte er sich aus seinen Klamotten und schlüpfte gerade noch rechtzeitig unter die Bettdecke, als die Tür auch schon aufging und Nina hereinkam.
»Sorry, falls ich dich wecke, aber ich brauche deine Hilfe«, rief sie.
Leander pochte noch immer das Herz bis zum Hals. Jetzt galt es zu schauspielern. Er blinzelte verwirrt, rieb sich die Augen und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Oh, wie spät ist es denn? Ich muss eingenickt sein.« Oscarreif.
»Kannst du damit was anfangen?« Nina hielt ihm ihr Handy vor die Nase.
»Was ist das?«, fragte er.
»Wenn ich das wüsste, würde ich nicht fragen.«
Er nahm ihr das Telefon aus der Hand und begutachtete das Foto auf dem Display. »Wo hast du das denn geschossen?«
»Das ist die Tür von Patrick. Du weißt schon, dem Sohn der Wirtin.«
»Das hat er gemalt?«
»Nein, eben nicht. Das muss irgendein Erwachsener gezeichnet haben. Kommen dir als Archäologen die Zeichen nicht irgendwie bekannt vor? Könnte das Keilschrift sein? Oder Hieroglyphen? Oder dieses Linear B?«
Leander betrachtete die Zeichen genauer und schüttelte dann den Kopf. »Nein, von so weit kommt die Schrift gar nicht her. Wenn ich mich nicht täusche, sind das Runen.«
»Und?«
»Was und?«
»Na, was steht da?«
Leander lächelte. »Ich bin Archäologe, kein Philologe. Schön, was man uns immer alles zutraut.«
»Aber du kannst es sicher herausfinden.« Nina setzte ihr Bitte-Bitte-Lächeln auf, dem Leander nie widerstehen konnte.
»Klar«, sagte er heldenhaft.
Sie schickte ihm das Foto auf sein Handy. »Wie geht es denn eigentlich deinem Bauch?«, fragte sie anschließend.
»Meinem Bauch?« Beinahe wäre Leander aus seiner Rolle gekippt. »Ach dem«, fing er sich gerade noch rechtzeitig. »Dem geht es schon wieder viel besser. Danke der Nachfrage.«
33
Rainer, dem der Kater ins Gesicht geschrieben stand, saß im Verhörzimmer und war mittlerweile von Schreien und Toben zu Jammern und Beteuern übergegangen. »Ich schwör’s! Ich hab’ ihr nix getan. Ich hätt’ ihr nie was angetan. Nie!«, sagte er, nachdem er mehrfach darauf bestanden hatte, keinen Anwalt zu brauchen, da er ja eh unschuldig war. »Ich hab’ sie doch eigentlich immer noch geliebt, auch wenn ich es nicht zugeben wollt’. Sie war doch mein Engel.«
Das kam Morell ziemlich bekannt vor. Genau dasselbe hatte er doch auch vom Metzger Fritz zu hören bekommen. Dafür dass Sabine Weigl so eine tolle Frau gewesen war, hatte sie einen recht miesen Männergeschmack gehabt, fand er. »Warum befindet sich dann Frau Weigls Schmuck in Ihrem Besitz? Ich gehe mal schwer davon aus, dass sie Ihnen den nicht freiwillig gegeben hat.«
Rainer schlug die Hände vors Gesicht. »Ich wusste von dem Schmuck, und als ich gehört hab’, dass sie tot ist, dacht’ ich, sie braucht ihn eh nicht mehr.« Er rieb sich über die Stirn. »Und eine Erinnerung an sie wollt’ ich auch. Darum hab ich ja
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