Neumond: Kriminalroman (German Edition)
etwas später wieder in das Verhörzimmer kamen. »Ich bin doch schon gestraft genug.«
»Sie können gehen.« Morell deutete auf die Tür.
Rainer starrte ihn mit offenem Mund an. »Ich kann gehen?«, fragte er. »Im Ernst?«
»Wenn ich es doch sage.« Morell zeigte erneut auf die Tür. »Ihr Vater war gerade hier und hat Ihr Alibi für die Mordnacht jetzt doch bestätigt.«
Rainer konnte es nicht fassen. »Mein Vater? Er war wirklich hier, und er hat …?« Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen.
»Freuen Sie sich nicht zu früh«, bremste Morell Rainers aufkeimenden Enthusiasmus. »Ihr Vater lässt Ihnen nämlich etwas ausrichten.« Er wandte sich an Danzer, der schräg hinter ihm stand, und bat ihn, das Protokoll vorzulesen.
Danzer, wie immer peinlich berührt, druckste einige Augenblicke herum, bevor er endlich tief Luft holte und tat, wie ihm geheißen. »Sagen Sie dem Lump, dass er gar nicht erst heimkommen braucht«, las er vor, wobei er es tunlichst vermied, Rainer in die Augen zu schauen.
Ein Polizist, der nirgends anecken wollte. Klassischer Fall von Berufsverfehlung. Morell nickte ihm aufmunternd zu.
»Mir ist’s wurscht, wo er unterkommt, aber sicher nicht bei mir«, las Danzer weiter. »Ich hab’ sein Alibi nur bestätigt, damit dem Hexenkessel ein Skandal erspart bleibt. Sonst könnt’ er von mir aus im Häfn verrotten. Dort könnt’ er wenigstens keinen Schaden anrichten und mir das Geschäft nicht noch mehr runterwirtschaften. Ich werd’ mir jetzt einen Anwalt suchen und ihm den Laden wegnehmen.«
Rainers Körpersprache, die eben noch sehr entspannt gewesen war, verwandelte sich in ein Wechselspiel aus Verzweiflung und Zorn. Kurz war er ganz ruhig. Unentschlossen, welcher der beiden Gefühlsregungen er sich hingeben sollte. Am Ende siegte offenbar der Zorn, denn er sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das kann er nicht machen!«, schrie er. »Das werden wir ja noch sehen, ob er mir den Hexenkessel einfach wieder wegnehmen kann – gegeben ist gegeben! Ich suche mir auch einen Anwalt.«
»Den werden Sie auch brauchen«, warf Morell ein. »Was den Mord angeht, sind Sie zwar vorerst aus dem Schneider, aber nicht, was den Diebstahl betrifft. Da wird eine Anzeige auf Sie zukommen. Verlassen Sie also nicht den Ort, und halten Sie sich zu unserer Verfügung.«
Rainer grummelte etwas, das wohl eine Einwilligung sein sollte, und stürmte dann wutentbrannt aus dem Zimmer, um bei Oliver seine Entlassungspapiere zu unterzeichnen.
»Es tut mir leid, aber Sie haben so laut geredet, dass ich es nicht überhören konnte. Also, falls Sie wirklich einen Anwalt brauchen … Mein Onkel, also nicht mein richtiger Onkel, sondern ein angeheirateter, nämlich der Mann von meiner Tante Heidrun … Die kennen Sie vielleicht eh. Heidrun Ginster, so eine ganz große Rothaarige. Die hat früher im Café Reiter gekellnert. Also, jedenfalls ist mein Onkel Hubert …«
Rainer starrte Oliver an und schüttelte einfach nur den Kopf. »Junge, wenn ich jemals einen Rausschmeißer brauche, dann bist du meine erste Wahl.« Mit diesen Worten schnappte er sich seine Papiere und ließ Oliver einfach sitzen.
Dieser überlegte kurz und spannte dann seinen Bizeps an. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er seinen Oberarm betrachtete. »Da hat sich das viele Schneeschaufeln ja doch ausgezahlt«, murmelte er und machte sich wieder an die Arbeit.
»Ich hatte schon Angst, dass wir den Bsuff über Nacht hierbehalten müssen.« Danzer lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Hände im Nacken und musterte sein schmutziges Hosenbein. »Das Problem wären wir aber zum Glück wohl los.« Er beugte sich wieder nach vorn und zauberte aus seiner Schreibtischschublade einen Teller voller Kuchen. »Maroni-Zimt. Von meiner Frau.«
»Dafür haben wir jetzt aber ein anderes Problem.« Morell nahm sich ein Stück.
»Ach ja? Und zwar?«
»Rainer war bisher unser einziger Verdächtiger. Jetzt hat er ein Alibi, und wir stehen wieder bei Null da.« Er nahm einen Bissen von dem Kuchen und musste Frau Danzers Backkünsten erneut Anerkennung zollen.
Danzer sah ein, dass sein Kollege recht hatte. »Stimmt, daran hatte ich gar nicht gedacht. Und jetzt? Was machen wir?«
»Jetzt genießen wir erstmal den Kuchen«, bestimmte Morell. »Und danach fangen wir wieder von vorne an. Sprich, ich werde noch einmal ins Sanatorium fahren und dort mit ein paar Leuten reden. Dabei kann ich mich dann auch
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