Neumond: Kriminalroman (German Edition)
richtig gehen. Dazu kommen mein Diabetes und die ganz normalen Beschwerden des Alters. Mein Sohn hat einen schrecklich stressigen Job, da bleibt leider nicht viel Zeit, sich um mich zu kümmern. Er wollte mir aber unbedingt etwas Gutes tun, und hat mich darum hierher geschickt. Damit ich mich erholen kann.«
›Vom Alter kann man sich nicht erholen‹, dachte Morell. »Das ist nett von ihm«, sagte er stattdessen. Nett, die eigene Mutter einfach in ein Sanatorium abzuschieben. Klang besser als Altersheim. Er versuchte, aufmunternd zu lächeln. »Hier oben ist es wirklich sehr angenehm. Die Aussicht ist ein Wahnsinn. Die Betreuung ist großartig. Und das Essen soll auch gut sein. Vielleicht sollte ich meine Koffer packen und den Rest meines Urlaubs hier oben verbringen.«
»Sparen Sie sich die Mühe. Das Sanatorium können nicht einmal Sie mir schön reden.«
»Ach was.« Morell tätschelte ihre knochige Hand. »Ich habe das ernst gemeint. Sollte ich jemals ärztliche Betreuung brauchen, könnte ich mir keinen besseren Ort als diesen vorstellen.« ›Und leider auch keinen teureren‹, fügte er in Gedanken hinzu. Sein Gehalt würde wahrscheinlich gerade mal für die Abstellkammer und eine Packung Aspirin reichen.
»Schön ist es schon hier, aber dieser Ort birgt einfach zu viele traurige Erinnerungen für mich. Manfred, mein Mann, Gott hab ihn selig, ist nämlich hier oben verstorben.«
»O nein, das tut mir leid.« Langsam gingen ihm die Worte aus. »Darf ich fragen, was ihm gefehlt hat?«
»Lungenkrebs.« Sie streckte ihren Zeige- und Mittelfinger in die Luft, wie sie es schon einmal getan hatte, und tat so, als würde sie an einer Zigarette ziehen. »Ein schreckliches Laster. Alkohol und fettiges Essen konnte ich ihm abgewöhnen. Die Sargnägel leider nicht. Erst hat er ein Lungenemphysem bekommen, aber glauben Sie, das hätte ihn vom Qualmen abgehalten?« Sie nahm noch einen Schluck Wasser. »Ein paar Jahre später kam dann der Krebs. Es war ein langer Tod. Hat sich über viele Jahre hingezogen. Er hat viel Zeit hier verbracht. Immer wieder. Aber am Ende hatte er keine Chance.« Sie kramte ein Taschentuch unter ihrer Decke hervor und tupfte sich eine Träne ab.
Eine echte Lady weiß wie das geht, fiel Morell auf. Immer tupfen. Niemals reiben.
»Wenn es bei mir so weit ist, geht es hoffentlich schnell«, sagte sie. »Bumm und tot. Kein langes Siechtum.«
»Das wünschen wir uns doch alle«, entgegnete er und stand auf. Ob es bei Jutta Zöbich, Sabine Weigl und Gerlinde Hölzel wohl schnell gegangen war?
Er bedankte sich für das Gespräch und grübelte über das Sterben nach, während er zum Ausgang lief. Er musste heute Abend unbedingt etwas Lustiges machen. Etwas, das ihn daran erinnerte, dass er gesund, glücklich und am Leben war.
Draußen auf dem Parkplatz, während ein paar vereinzelte Schneeflocken sich auf seinen Schultern niederließen, stach Morell ein buntes Plakat ins Auge: › 10 . Jährliches St. Gröbner Abendrodeln‹, wurde darauf angekündigt. ›Action und Spaß für die ganze Familie. Mit regionalen Köstlichkeiten und musikalischer Unterhaltung vom St. Gröbner-Heimatverein.‹
Das war genau das, was er jetzt brauchte. Rodeln klang nach Spaß – dabei musste er sich nicht bewegen, und nachdem das Event als familientauglich angepriesen wurde, war die Abfahrt sicher nicht sonderlich steil. Dazu kam, dass die Schlagwörter ›regionale Köstlichkeiten‹ und ›Heimatverein‹ auf ein uriges, kitschfreies Rahmenprogramm schließen ließen. Alles in allem klang das nach einer Veranstaltung ganz nach seinem Geschmack.
Er schaute auf das Datum: heute Abend 19 Uhr. Wunderbar. Das ließ ihm genügend Zeit, in die Pension zu fahren, sich zu duschen und dann loszulegen.
»
19 Uhr Nachtrodeln. Sicher eine super lustige Sache. Wer hat Lust? Treffpunkt 18 : 30 Uhr vor dem Enzianhof. Freu mich, Otto«,
tippte er in sein Handy und sendete die SMS an Valerie, Nina und Leander.
›Das wird toll werden‹, dachte er und ließ dabei völlig außer Acht, dass man den Tag nicht vor dem Abendrodeln loben sollte.
41
Patrick hatte lange versucht, sich selbst ein Rätsel auszudenken, dann aber frustriert das Handtuch geworfen. Irgendwie wollte ihm nichts einfallen, das schlau genug gewesen wäre, um den Tatzelwurm im Rätselduell zu besiegen.
Er hatte sich darum Hilfe besorgt:
»Mit M umschließt es manchen Garten,
mit D trotzt es der Zeiten Lauf,
mit B muss es den Acker warten,
mit L
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