Neumond: Kriminalroman (German Edition)
steh’n Jäger oft darauf.«
Zu einfach, entschied er und blätterte weiter in dem Rätselbuch herum, das er in dem Bücherregal gefunden hatte, das seine Mutter neben der Rezeption aufgestellt hatte.
Immer wieder vergaßen Gäste Bücher in der Pension, oder ließen sie mit Absicht liegen, da sie keine Lust hatten, sie wieder mit nach Hause zu nehmen. Mutter schenkte diesen verwaisten Büchern, wie sie sie nannte, dann ein neues Zuhause in besagtem Regal.
»Man wirft keine Bücher weg«, hatte sie ihm erklärt. »Dafür sind sie viel zu schade – ganz egal ob teures Hardcover oder einfaches Taschenbuch. Bücher sind wunderbare Dinge. Sie sind fliegende Teppiche ins Reich der Fantasie.«
Den letzten Teil hatte er zwar nicht verstanden, aber es hatte schön geklungen. Außerdem hing er ja auch sehr an seinen Märchenbüchern – warum sollte Mutter also nicht an den verwaisten Büchern hängen.
»Es ist am Morgen vierfüßig,
am Mittag zweifüßig
am Abend dreifüßig.
Wenn es sich mit den meisten Füßen fortbewegt,
ist seine Schnelligkeit am geringsten.«
Dieses Rätsel war zwar gut, aber er kannte es bereits. Er hatte es schon einmal in einem Märchenbuch gelesen. Das war das Rätsel der Sphinx, und somit sehr bekannt. Zu bekannt. Wenn der Tatzelwurm ein Rätselfan war, dann kannte er es sicher auch schon.
Patrick blätterte weiter. Das perfekte Rätsel. Er musste das perfekte Rätsel finden.
»Was sieht aus wie eine Katze,
miaut wie eine Katze,
aber ist keine Katze?«
Das war es. Das war sein Rätsel. Das Rätsel, mit dem er gegen den Tatzelwurm antreten würde.
Es war kurz, prägnant, und er fand es sehr schwierig. Wenn er die Lösung nicht hätte nachschlagen können, wäre er nie darauf gekommen. Dabei mochte er Katzen. Im Gegensatz zum Tatzelwurm. Der hatte mit Katzen nichts am Hut.
Im Wald, da wohnte nämlich nur eine Katze, und die war echt gemein. Die Minki hatte mal der komischen Frau Steinbichler gehört, war dann aber weggerannt. Patrick konnte das gut verstehen. Wenn er bei der unheimlichen Frau Steinbichler hätte wohnen müssen, wäre er auch weggerannt.
Er hatte die Minki einmal gesehen. Beim Wandern. Dünn und räudig hatte sie ausgeschaut, so als würde es ihr nicht gut gehen. Er wollte ihr helfen und hatte ihr die Hälfte von seinem Schinkenbrot hingelegt. Sie war tatsächlich nähergekommen, und als er sie streicheln wollte, hatte das undankbare Tier die Haare aufgestellt und ihn wild angefaucht.
Die und der Tatzelwurm konnten sich sicher nicht leiden. Also wusste der Tatzelwurm nichts über Katzen, und das war gut so.
Patrick, überzeugt von seiner eigenen Logik, holte seine magische Schachtel unter dem Bett hervor, nahm das Säckchen mit den Vogelbeeren und das Käsemesser heraus und packte die beiden Sachen unter sein Kopfkissen. Sicher war sicher.
Dann legte er sich hin und schloss seine schweren Lider. Augenblicklich wurde er von einer Welle der Müdigkeit erfasst, die seinen erschöpften Geist ins Land der Träume spülte.
42
Täuschte sie sich, oder hatte der Tee einen bitteren Beigeschmack? Nina überkam Panik. Die Irre hatte ihr doch hoffentlich nichts hineingemischt?!
Sie starrte in die Tasse und versuchte auszumachen, ob darin irgendwelche Pulverreste schwammen, konnte aber zum Glück nichts erkennen.
›Es gibt Medikamente und Drogen auch in Tropfenform‹, warf der paranoide Teil ihres Gehirns ein.
»Also, was möchten Sie über die Zukunft wissen?« Steinbichler mischte seelenruhig die Tarotkarten.
›Warum sollte sie mir was antun?‹, versuchte der rationale Teil ihres Gehirns Nina zu beruhigen. ›Dazu hat sie überhaupt keinen Grund.‹
›Psychopathen brauchen keinen Grund‹, hielt der paranoide Teil dagegen. ›Beziehungsweise erfinden sie einfach ihre eigenen Gründe. Und überhaupt … Es sind Morde geschehen. Wenn die Alte darin verwickelt ist, dann ist das Grund genug.‹
Das Piepen, das eine eingegangene SMS ankündigte, unterbrach den Dialog der Hirnteile.
Das war ihre Chance. Nina zückte das Handy, schaute auf das Display, ohne den Text wirklich zu lesen, und sprang auf. »Ein Notfall.« Sie griff nach ihrer Jacke und eilte aus dem Zimmer. »Auf Wiedersehen«, rief sie im Flur und flüchtete nach draußen.
Erst als sie im Auto saß und die Türen von innen verriegelt hatte, konnte sie durchatmen. Sie fühlte ihren Puls, der viel zu hoch war, aber das war in ihrer Situation ganz logisch. Alle anderen Körperfunktionen schienen normal
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