Neumond: Kriminalroman (German Edition)

behauptet, die Katzen seien ihre Freunde, und dass sie mit ihr reden würden.«
    Son of Sam.
    Daughter of Kitty.
    »Sie hat ihnen aber nichts angetan?«
    »Nein, ganz im Gegenteil. Sie hat sie wie richtige Menschen behandelt. Hat sie am Tisch essen und im Bett schlafen lassen. War anscheinend eine ziemliche Sauerei, aber den Katzen ging es gut. Ich hab’ ja leider eine Katzenallergie. Darum kann ich keine Katze haben, und ein Hund macht einfach viel zu viel Arbeit …«, schweifte Oliver schon wieder ab.
    »Und was ist dann mit Frau Steinbichler passiert?«, holte Nina ihn zurück zum Thema.
    »Sie wurde ins Sanatorium gesteckt. Da gibt es anscheinend auch eine psychiatrische Abteilung. Da war sie eine Zeitlang, wurde geheilt und dann entlassen.«
    »Geheilt?«
    »Wenn sie nicht geheilt worden wäre, wäre sie doch wohl nicht entlassen worden.«
    Sie war beinahe gerührt von Olivers Naivität. »Natürlich«, sagte sie. »Und seitdem gab es nie wieder Ärger mit ihr?«
    Er schüttelte den Kopf. »Vor ein paar Monaten ist die Minki, ihre Katze, weggelaufen. Seitdem rennt die Steinbichler ständig im Wald herum und sucht sie. Der Förster hat sich darum mal über sie beschwert, aber das war’s dann auch schon. Wollen Sie eigentlich was trinken? Total unhöflich von mir, dass ich noch gar nicht gefragt habe. Ich kann Ihnen einen Kaffee machen oder einen Tee oder auch einfach nur ein Wasser oder …«
    »Danke, Oliver«, Nina stand auf. »Aber ich muss los. Ich bin zum Abendrodeln verabredet.«
    »Echt? Klasse! Ich werde auch dort sein, mit meiner Familie. Das hat bei uns Tradition, dass wir dort jedes Jahr alle gemeinsam hingehen. Dann können Sie meine Mutter und meine Tanten mal persönlich kennenlernen. Die freuen sich sicher alle auf ein Schwätzchen mit einer echten Gerichtsmedizinerin.« Er strahlte.
    »Dann bis später.« Ob man tatsächlich totgeredet werden konnte? Wenn ja, dann würde sie diesen Abend wahrscheinlich nicht überleben.

43
    Es war doch zum Aus-der-Haut-fahren. Leander zerknüllte das Blatt, das er dazu verwendet hatte, sich Notizen zu machen, und pfefferte es gegen die Wand. Eine sehr eigenwillige Logik, die die alten Germanen da gehabt hatten.
    Er stand auf, holte sich die Papierkugel zurück, strich sie wieder glatt und ging seine bisherigen Erkenntnisse noch einmal durch. Er schaute sich auch das Foto an, um sicherzugehen, dass er die Runen richtig identifiziert hatte. Es waren fünf Stück:
    Die erste Rune erinnerte stark an eine Mistgabel. Das musste ›algiz‹ sein. Ihr Lautwert war das Z. Ihr Zahlenwert die  15 .
Das zweite Gekritzel sah aus wie eine gespiegelte Eins. Das müsste ›laguz‹ sein. Ihr Lautwert war das L. Ihr Zahlenwert die  21 .
Die dritte Rune war ein eckiges U, das auf dem Kopf stand. Das war eindeutig ›uruz‹. Ihr Lautwert war das U. Ihr Zahlenwert die  2 .
Der Name der vierten Rune, die einer Art Blitz glich, war ’sowilu. Ihr Lautwert war das S. Ihr Zahlenwert die  16 .
Und die letzte Rune, die so aussah wie ein M, bei dem sich die mittleren Striche überkreuzten, musste ›mannaz‹ sein. Ihr Lautwert war das M. Ihr Zahlenwert die  20 .
    ZLUSM ? Oder rückwärts gelesen MSULZ ? Auch wenn man die Buchstaben vertauschte, entstand kein logisches Wort.
    Vielleicht ging es ja um die Zahlen. 15 – 21 – 2 – 16 – 20 . Zusammengezählt ergab das  74 . Nichts klingelte. Was, wenn man den Zahlen Buchstaben zuordnete? Eins für A, zwei für B, drei für C und so weiter. Dann kam man auf OUBPT . Er spielte ein wenig damit herum. BP OUT ? Nein, der kleine Junge hatte ganz sicher nichts mit British Petroleum zu tun.
    »Ich habe doch gar keine Zeit für diesen Kram«, sagte er laut. »Ich muss ein Geschenk für Nina finden, und dann will ich in Ruhe rodeln gehen.«
    Als Nina vorhin angerufen hatte, hatte er tatsächlich gehofft, dass sie mit einer Lösung aufwarten konnte, obwohl doch normalerweise er immer der Sieger beim Rätselraten sein wollte. Aber da diese Zahlen- und Buchstabenkombinationen allesamt keinen Sinn ergaben, sah er ein, dass er alleine nicht weiterkam. Aber wen konnte er fragen? Wer kannte sich mit altgermanischen Runen aus? Es war definitiv zu spät, um noch jemanden an der Uni oder im Museum zu erreichen. Und wo gab es denn sonst kauzige Menschen, die sich mit solch skurrilen Dingen beschäftigten?
    Bei den Schlagwörtern ›kauzig‹ und ›skurril‹ kamen ihm unvermittelt Irmgard und Gudrun in den Sinn. ›Warum eigentlich