Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Feinrippunterwäsche und Frotteesocken bekleidet, auf den Boden plumpsen, wo er für die nächsten Minuten das Gesicht in den Händen vergrub und hoffte, dass alles nur eine Halluzination infolge seines Unfalls war.
Als er die Hände von den Augen wegnahm, hatten die Sternchen zwar aufgehört zu tanzen, doch der Schweinekopf lag noch immer in seinem Bett: rosarot und unglaublich ekelhaft.
»Wer macht denn nur so was?«, murmelte er und schüttelte den Kopf. Sollte das etwa ein Scherz sein? Oder irgendein kranker Brauch? Er zog sich sein Unterhemd über die Nase und ging etwas näher an den Kopf heran.
Erst jetzt bemerkte er das zusammengefaltete Blatt Papier, das im Maul des Tiers steckte.
Morell ging ins Bad und durchwühlte erst seinen Kulturbeutel, dann Valeries. Dort würde er fündig und schnappte sich Valeries Pinzette, die sie benutzte, um sich die Augenbrauen in Form zu zupfen. Die Pinzette brauchte er weniger, um mögliche Fingerabdrücke zu erhalten, als mehr aus purem Ekel vor dem kalten, toten Fleisch. Zurück im Zimmer zog er damit vorsichtig den Zettel aus dem Maul heraus.
»Du armes Schwein«, sagte er und wusste nicht, ob er damit sich selbst oder seinen ungebetenen Gast meinte. Wahrscheinlich beide.
Vorsichtig legte er den Zettel auf den Tisch und faltete ihn mit Hilfe der Pinzette auseinander.
»Na wunderbar«, entfuhr es ihm, als er gelesen hatte, was der Absender mit Hilfe von aus der Zeitung ausgeschnittenen Buchstaben geschrieben hatte: »Stoppen Sie Ihre Ermittlungen, und genießen Sie Ihren Urlaub!« Nicht mehr und nicht weniger.
Was sollte er jetzt machen? Danzer anzurufen würde nicht viel bringen. Der war in solchen Situationen noch mehr überfordert als er selbst. Nina und Leander waren sicher auch keine große Hilfe, und Valerie … »Verdammt! Valerie!« Wie sollte er ihr den Schweinekopf erklären? »Tut mir leid, Schatz, aber ich bin da anscheinend einem Killer etwas zu nahe gekommen …« Sie würde darauf bestehen, sofort abzureisen.
Was vor ein paar Tagen noch wie der Himmel auf Erden geklungen hätte, war mittlerweile keine Option mehr für ihn. Er konnte Danzer und Oliver nicht im Stich lassen, und außerdem würde er, solange nette Menschen wie Schwester Elvira oder die drei Bridge-Damen in Gefahr schwebten, keine ruhige Minute mehr haben. Er musste das Ding also vor Valerie verstecken. Oder noch besser – er musste es dauerhaft entsorgen.
Sein Entschluss, den Schweinekopf unbemerkt loszuwerden, stellte Morell vor zwei entscheidende Aufgaben: Er musste einen passenden Ort finden, um ihn zu deponieren, und er musste ihn anfassen.
Für das erste Problem war schnell eine Lösung gefunden. Es kamen nur die Mülltonnen hinter dem Enzianhof in Frage. Falls sie zu voll waren, blieb noch der Wald übrig.
Aber wie war das mit dem Anfassen? Als erstes zog er sich seine dicke Rodelmontur wieder an. Je mehr Lagen Stoff sich zwischen ihm und dem Kopf befanden, desto besser. Dann wickelte er ihn, unter Einsatz all seiner Willensstärke, in seine Bettdecke und hielt das Bündel so gut es ging auf Abstand. Zum Glück war der Kopf offenbar gänzlich ausgeblutet gewesen, bevor er ins Zimmer geschafft worden war, es waren jedenfalls keinerlei Blutflecken auf dem Laken zu sehen. Wie gut, dass die dicke Bettdecke dazwischen gewesen war.
Mit seinem grausigen Gepäck schlich der Chefinspektor aus dem Zimmer, durch den Flur und die Lobby und versuchte, so normal und locker wie möglich dabei auszusehen. Glücklicherweise begegnete ihm niemand. Vor der Eingangstür würde vermutlich der schwierige Teil folgen. Mit einem großen Bettdeckenbündel am späten Abend hinter die Pension zu gehen und sich bei den Mülltonnen herumzutummeln – dabei wollte er nun wirklich nicht erwischt werden. Er vergewisserte sich deshalb dreimal, dass niemand in der Nähe war, und schlich dann leise zu den Tonnen.
Es waren drei. Die ersten beiden waren bis oben hin voll mit Müll.
»Bitte, bitte«, flehte Morell, der keinerlei Lust verspürte, die Decke samt Schweinekopf durch den Wald zu schleppen, und öffnete den Deckel der dritten.
Der Gestank von alten Küchenabfällen schlug ihm entgegen und raubte ihm kurz den Atem. Dafür war in der Tonne noch Platz. Schnell warf er das Bündel hinein und klappte den Deckel zu. Er wollte schon erleichtert kehrt machen, doch etwas hielt ihn zurück. Noch einmal öffnete er den Deckel und betrachtete sein Werk.
»Viel zu auffällig«, stellte er fest. Der
Weitere Kostenlose Bücher