Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Morell wieder zurück. »Von einer Scheinwerferabdeckung, um genau zu sein. Wir hätten ja gerne ein Polizei-Schneemobil, aber leider kriegen wir dafür kein Budget. Wir haben schon mehrfach …«
»Das ist ja interessant.« In der Nacht, in der Schwester Sabine ermordet worden war, war also jemand mit einem Schneemobil durch den Wald gefahren, und diesem Schneemobil fehlte jetzt ein kleines Teil. »Kannst du herausfinden, ob irgendwer in letzter Zeit eine neue Abdeckung gekauft hat?«
»Klar, kein Problem, da rufe ich gleich meinen Onkel Wilfried an, den Mann von meiner Tante Zita. Der arbeitet beim Powersport Ramplinger. Die sind die Einzigen in der Gegend, die so spezielle Ersatzteile verkaufen.«
»Kannst du bitte auch die Verleihe durchtelefonieren? Frag, ob jemand ein Schneemobil beschädigt zurückgebracht hat. Ich muss wissen, wem diese Abdeckung gehört.«
»Kein Problem. Da gibt es eh nur zwei. Einer davon gehört meinem Cousin Martin und der andere meinem alten Schulfreund Robert. Der ist übrigens der Cousin von meinem Cousin, also in die andere Richtung, angeheiratet, väterlicherseits, also vom Mann meiner Tante. Sprich, wir sind nicht wirklich verwandt, aber irgendwie schon.«
Morell, der nur Bahnhof verstand, zeigte mit beiden Daumen nach oben und wunderte sich, warum Danzer den Hölzel für den einflussreichsten Mann im Ort hielt. Mit all den Verbindungen und Informationen, die er durch seine Familie hatte, sollte eigentlich Oliver dieses Attribut bekommen.
54
Als Leander aufwachte, hielt er seine Augen noch für eine Weile geschlossen und lauschte. Außer Ninas Atmen war nichts zu hören. Gar nichts. Kein Hupen, keine Autos, kein Hundegebell, kein Kindergeschrei oder andere Lärmquellen. Für ihn, der schon seit Jahren in Wien lebte, war das ungewohnt. Er war den andauernden Geräuschpegel, dem man in einer Großstadt ausgesetzt war, so gewohnt, dass absolute Stille fast schon unheimlich auf ihn wirkte.
»Guten Morgen«, flüsterte er Nina ins Ohr, als diese endlich die Augen öffnete und ihn anblinzelte. »Das war vielleicht ein wilder Abend gestern. Erst Ottos Unfall, dann der verschwundene Junge und am Schluss auch noch die tote Katze.«
Nina zog sich die Decke über den Kopf. »Warum bist du schon so fit? Ich bin noch total verkatert.«
»Das vergeht schon wieder. Ich hol’ dir ein Glas Wasser, dann schläfst du noch ein bisschen, und anschließend überlegen wir uns, wie du dich am besten bei Frau Steinbichler entschuldigst.«
Sie zog sich die Decke wieder vom Gesicht, setzte sich auf und schaute ihn aus verquollenen Augen an. »Ich soll mich entschuldigen? Bei ihr?«
Leander ging ins Badezimmer und kam kurz darauf mit einem Becher voller Wasser zurück. »Hier«, sagte er, stellte ihn neben Nina auf das Nachttischkästchen und zog die Vorhänge auf, so dass das Zimmer mit Licht durchflutet wurde. »Ich finde schon, dass eine Entschuldigung fällig ist. Die Ärmste schien ganz schön fertig – immerhin hast du ihre tote Katze ausgegraben.«
»Die Ärmste?« Nina blinzelte und trank den Becher in einem Zug leer. »Die alte Steinbichler leidet an irgendeiner Psychose, und ich bin mir sicher, dass sie manchmal ihre Medikamente nicht nimmt. Kann gut sein, dass sie gefährlich ist. Nur weil wir hinter ihrem Haus eine tote Katze und keinen toten Menschen gefunden haben, heißt das noch gar nichts. Ich bin mir außerdem sicher, dass
sie
diese Runen auf Patricks Tür geschmiert hat. Jemand, der in fremde Häuser einbricht und kleine Kinder verflucht, hat keine Entschuldigung verdient. Und zwar definitiv nicht.« Um ihre Worte zu untermauern, stellte sie den leeren Becher unsanft auf das Nachttischkästchen.
»Wie du meinst.« Leander, der keine Lust auf eine lange Diskussion hatte, holte frische Unterwäsche aus seinem Koffer und ging ins Badezimmer. Nina begab sich wieder in die Horizontale und zog sich die Decke über den Kopf. Ihr Kopf dröhnte.
»Was ist denn das?« Als Leander zurück aus der Dusche kam, hielt Nina ihm den rosaroten Bademantel unter die Nase.
Auwei, er hatte wohl vergessen, den Koffer wieder abzusperren. »Nichts.« Ein Königreich für eine glaubwürdige Ausrede. »Was hast du überhaupt an meinem Koffer verloren?«, trat er die Flucht nach vorne an.
»Ich habe Aspirin gesucht. Und jetzt hör auf, mir auszuweichen. Wem gehört der?«
»Ach Nina.« Leander stellte sich ans Fenster und schaute nach draußen. Die Sonne strahlte, und kein Wölkchen trübte
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