Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
diesmal war er geschickter und wich in die andere Richtung aus, so dass er nun genau zwischen den Regalen stand und ungehindert flüchten konnte.
»Bitte geh nicht!«, flehte Jolin. »Ich verspreche dir, dass ich nicht näher herankomme.«
Wieder knurrte er leise, doch in seiner Iris leuchtete für einen Sekundenbruchteil die Bernsteinsonne auf, und ein unendlich schmerzvoller Ausdruck verzerrte sein atemberaubend schönes Gesicht.
Wieder hatte Jolin das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Auf eine seltsam bizarre Weise fühlte sie sich genauso wie vor Wochen, als sie zusammen auf dem Friedhof gewesen waren.
»Du bist dabei, deine Seele zu verbrennen«, zischte Rouben.
»Das ist mir egal«, sagte Jolin entschlossen. »Da, wo es gut für dich ist, kann es für mich nicht wirklich schlecht sein.«
»Ja, hast du mir denn gar nicht zugehört!«, grollte er zornig. »Du kennst die dunkle Welt nicht, dort gibt es keine Liebe. Wir werden nicht das füreinander sein können, was wir hier …« Er brach ab und sah gequält zu Boden.
»Woher willst du das denn wissen? Deine Mutter konnte schließlich auch Liebe empfinden!«
Rouben krallte seine Hände langsam zu Fäusten »Trotzdem!«, stieß er hervor. »Es wird nicht dasselbe sein.«
»Immer noch besser als das hier!«, entgegnete Jolin nicht weniger aufgebracht. »Wenn ich jetzt so wäre wie du, könnten wir uns wenigstens in den Armen halten!«
»Jolin!« Rouben schüttelte den Kopf. Immer und immer wieder. »Nicht einmal ich weiß genau, was Vincent mit mir … mit uns … vorhat. Vielleicht reicht es ihm nicht, einen Vampir aus mir zu machen … Vielleicht will er auch dich.«
Jolin brauchte eine Weile, bis sie kapiert hatte, was das bedeutete.
»Du meinst, er will gar nicht, dass du mich tötest?«, brach es aus ihr hervor. »Sondern er will es selber tun … Mich töten … oder mich … VERWANDELN! Vor deinen Augen?«
Rouben warf einen flüchtigen Blick zwischen den Buchreihen hindurch zum Tresen. Offenbar hatte er das Gefühl, dass sie zu laut waren und Frau Wieshaupt mitbekommen könnte, worüber sie redeten. »Wenn er das … tatsächlich plant«, begann er mit stockender Stimme und so leise, dass Jolin ihn kaum noch verstehen konnte, »dann wird er es bald tun … solange ich noch etwas Menschliches an mir habe und Leid empfinden kann … Verstehst du? Du bist in großer Gefahr!«, setzte er eindringlich zischend hinzu.
Jolin schüttelte den Kopf. »Und du denkst, dass Anna auf mich aufpassen kann? Dass er mir nichts antut, wenn sie dabei ist?«
Rouben antwortete nicht, aber in seinen Augen flackerte es.
»Nachts steht er vor unserem Haus«, fuhr Jolin aufgebracht fort. »Er dringt in unseren Keller ein. Woher willst du wissen, dass er nicht durchs Fenster in mein Zimmer kommt?«
Rouben schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, dass er da war«, sagte Jolin. »Er hat versucht, das Fenster zu öffnen. Und dann habe ich einen Schatten an der Hauswand gesehen.«
Wieder schüttelte Rouben den Kopf.
Jolin runzelte die Stirn. Irgendwas an ihm kam ihr merkwürdig vor, sie kam nur nicht dahinter, was es war.
»Wenn er mich will, wird er mich kriegen«, sagte sie schließlich. »Und deshalb musst du es tun.«
Rouben kniff die Augen zusammen und knurrte leise.
»Lieber du als er«, flüsterte Jolin.
»Ich könnte es gar nicht«, sagte er gedehnt. »Ich kann … dich nicht verwandeln.«
»Ja, weil du mich noch immer liebst!«
»Nein, weil ich meine Gier nicht beherrschen könnte«, erwiderte Rouben hart. »Ich würde dich töten. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Das weiß Vincent, und ich weiß es auch.« Seine Stimme wurde von Silbe zu Silbe dunkler und trauriger, und zum Schluss versagte sie ihm ganz.
Jolin starrte ihn an. In ihrem Kopf herrschte das totale Durcheinander. Sie war unfähig, ihre Gedanken einzufangen und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.
»Aber das bedeutet, dass wir nicht zusammen sein werden«, wisperte Jolin. »So oder so … nicht.«
»Das … ist … das, was ich dir … die … ganze … Zeit schon klarzumachen versuche, was … du … aber … nicht … verstehen … willst.«
Jolin starrte ihn an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Nicht«, sagte Rouben leise. Er streckte seine Hand nach ihr aus, als wollte er ihr über die Wange streichen, ließ sie dann aber sofort wieder sinken. »Bitte, nicht weinen.«
Jolin biss die Zähne aufeinander und versuchte krampfhaft, die Tränen
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