Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
mal zuckt er nur mit den Schultern oder grinst mich spöttisch an.«
»Natürlich stammt sie von ihm«, erwiderte Jolin. »Ich bin sicher, dass er mich damit verunsichern wollte, dass ich Angst bekommen und an dir zweifeln sollte. Umso besser würde er schließlich vor mir dastehen können.«
Wieder legte Rouben den Kopf in den Nacken, doch statt eines Schreis polterte nun ein dunkles Grollen aus seiner Kehle.
»Du wirst niemals so sein wie er!«, sagte Jolin. »Und er niemals so wie du.« Sie trat an Rouben heran, legte ihre Hand zwischen seine Schulterblätter und blickte auf die Lichter der Stadt hinunter. »Und das hier, das erleben wir , das kann uns niemand nehmen. Warum fliegen wir nicht einfach davon?«, setzte sie flüsternd hinzu.
»Irgendwann ist das Gas verbraucht«, sagte Rouben. »Irgendwann geht die Sonne auf und trifft mich mit ihren Strahlen. Es gibt keine Zukunft für uns, Jol, begreif das doch endlich.«
Nein! Nein! Nein! Jolin wollte nicht aufgeben. Noch nicht! Nicht jetzt! Niemals! Und es wollte ihr auch nicht in den Kopf, dass Rouben das nicht genauso sah. Sie waren hier auf engstem Raum in einem Ballonkorb zusammen. Er hätte sie längst in Stücke reißen und bis auf den letzten Tropfen austrinken können. »Wir haben noch zwei Wochen!«, brüllte sie ihn an.
»Ja.« Rouben nickte. Dann schwieg er.
Jolin nahm ihre Hand herunter, sie machte zwei Schritte zurück und starrte auf seinen breiten Rücken.
»Du liebst mich nicht mehr … genug«, hauchte sie. »Hab ich recht?«
Ein Beben ging durch Roubens Körper, und wieder drang ein dunkles Grollen aus seiner Kehle. Schließlich drehte er sich um und streckte seine Hand nach ihr aus. »Komm her«, sagte er leise.
Jolin bemerkte das Glühen in seinen Augen, das die Starrheit seiner Gesichtszüge nur umso deutlicher hervorhob. »Na, komm schon. Oder hast du plötzlich doch Angst vor mir?«
Jolin schluckte gegen das stramme Gefühl an, das sie ganz plötzlich in ihrem Hals spürte. »Nein«, krächzte sie. »Ich weiß, dass du mir nichts tun wirst.«
Das Glühen in seinen Augen wurde stärker. »So, weißt du das?«
Jolin nickte tapfer. Sie war aufgeregt, das Blut rauschte wie ein aufgepeitschter Ozean durch ihren Körper, aber nicht, weil sie wirklich Angst hatte. Was sie mit jeder Faser ihres Körpers und ihrer Seele empfand, war mehr als das, es war nicht zu beschreiben, sie wusste nur, dass sie ihren Fuß gerade über einen Abgrund setzte, aber genau das war es, was sie wollte, weil einzig und allein dort unten – in der unendlichen Tiefe des Ungewissen, des Unerklärbaren – das Leben war, nach dem sie sich sehnte.
»Sicher?«, fragte Rouben rau.
Wieder nickte sie. »Ganz sicher.«
Unvermittelt ergriff er ihren Arm und zog sie mit einem Ruck so dicht zu sich heran, dass Jolin seinen harten Leib spürte.
»Und?«, fragte Rouben leise. »Wie fühlt sich das an?«
»Gut«, keuchte Jolin.
»Gut?« Er schüttelte den Kopf und strich ihr mit seinen kalten Fingern über die Wange, dann den Hals hinunter, und als er seine Hand schließlich auf ihr Brustbein legte und nach ihrem Herzschlag tastete, schossen eisige Blitze über ihre Haut bis tief in ihren Unterleib hinein.
»Gefällt dir das?«, knurrte Rouben.
Jolin nickte. »Ja, mach weiter, es gefällt mir!«
»Dann bist du jetzt dran«, sagte Rouben. »Leg deine Hand auf mein Herz.«
So hatten sie es nach dem Unfall am ersten Tag in der Schule gemacht, dachte sie, und eine weitere Welle heißen Bluts schwappte in ihre Sinne. Voller Sehnsucht schob sie ihre Hand unter seinen Pulli und wanderte an seinen steinharten Bauchmuskeln entlang bis zu seinem Brustkorb hinauf. Es war, als ob ihre warme Haut über eine reglose Statue glitt. Sie spürte weder einen Atemzug noch das bekannte, beruhigende Pulsieren eines Herzens.
»Und?«, fragte Rouben wieder. »Fühlst du es? Wie es schlägt?«
Jolin zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich kann es nicht fühlen.«
»Keine Sorge«, sagte er zu ihrer Überraschung. »Es schlägt noch, zwei-, dreimal in der Stunde. Wenn ich will, höre ich für eine Weile auf zu atmen, dann steht es ganz still.«
»Aber du darfst nicht aufhören zu …«, wollte Jolin protestieren, doch Rouben ließ sie nicht ausreden. »Mein Atem unterscheidet sich nicht mehr von Vincents. Er ist genauso stinkend und faulig wie seiner.«
Jolin fixierte seine perfekt geschwungenen Lippen und schüttelte den Kopf.
»Möchtest du, dass ich ihn dir ins
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