Neun Tage Koenigin
entscheiden können, so wie du es getan hast.“
Ich betrachtete den Ring in meiner Hand. „Ihr habt doch selbst entschieden, mir den hier anzuvertrauen“, entgegnete ich leise und ließ den Ring in meinen Nähbeutel gleiten.
„Du musst jetzt gehen“, sagte sie. „Guildford wird bald zurück sein.“
„Und was ist mit dem Kleid, das ich für Euch nähen soll? Was ist, wenn ich nach dem Kleid gefragt werde?“
„Ich beauftrage dich, mir ein Kleid ganz nach deinem Gutdünken zu nähen. Mir ist gleichgültig, wie es aussieht. Ellen wird sich um den Stoff kümmern, den du brauchst. Ist das gut so?“
„Aber natürlich.“
„Danke, liebe Lucy. Für dein Kommen und dafür, dass du das für mich tust.“
„Gern geschehen, Mylady.“
„Vielleicht kannst du ja noch vor Ende Juli zu einer Anprobe herkommen“, fügte sie hinzu. Die Tränenspuren waren inzwischen nicht mehr zu sehen. Statt belastender Traurigkeit konnte ich jetzt einen Hauch von Hoffnung erkennen.
Ich sagte, es würde mir ein Vergnügen sein, zur Anprobe wiederzukommen, und sie schien in dem Gedanken zu schwelgen, sich auf etwas freuen zu können.
Aber ich traf Jane dann doch nicht im Juli in Syon House.
Stattdessen sah ich sie zu meinem Erstaunen nicht einmal vierzehn Tage später in London, wo sie in Begleitung von Guildford, Soldaten, Kanonen, Fahnen und dem Herzog von Northumberland am Themseufer in einer Parade fuhr.
Seine Majestät, der kränkliche König Eduard, war gestorben.
Und in seinem Testament, das er unmittelbar vor seinem Tod noch einmal geändert hatte, ernannte er auch seine Nachfolgerin – seine Base Lady Jane Dudley.
Die neue Königin von England.
Neunundzwanzig
Es ist immer ein grauer Tag, wenn ein englischer Herrscher stirbt. Als der von Tuberkulose geplagte Eduard VI. von diesem ins kommende Leben abberufen wurde, erfuhren seine Untertanen zunächst fast drei Tage lang nichts von seinem Tod, doch sein Ableben kam für niemanden überraschend, auch wenn ihm ganz sicher niemand den Tod gewünscht hatte. König Eduard war lange krank gewesen und zum Zeitpunkt seines Todes gerade erst fünfzehn Jahre alt; im selben Alter also wie Lady Jane, und er hatte nicht lange genug regiert, als dass man bereits hätte erkennen können, wie er als erwachsener Mann gewesen wäre.
Als sich die Nachricht vom Tod Seiner Majestät dann auf den Straßen von London herumsprach und als bekannt wurde, dass seine von ihm selbst ernannte Nachfolgerin Lady Jane Grey Dudley sein sollte, herrschte eine Art verblüfftes Schweigen. Jane war für die Menschen in London keine Unbekannte und für die Lords und Ladys bei Hofe erst recht nicht, aber sie war keine Prinzessin. Da sie in der Thronfolge erst an vierter Stelle stand, glaubte niemand im Ernst, dass sie bis an ihr Lebensende Königin bleiben würde.
Mir blieb fast das Herz stehen, als mich die Nachricht vom Tod des Königs und Janes Nachfolge auf dem Thron erreichte. Ich bat Nicholas, mir zu erklären, wie das möglich war, denn ich begriff es einfach nicht.
Aus all dem, was ich ihm bereits erzählt hatte, folgerte Nicholas, dass zweifellos John Dudley dabei seine Hand im Spiel gehabt hatte, den König von der Testamentsänderung zu überzeugen, damit Jane Königin werden konnte. Nicholas glaubte, dass Dudley den todkranken König aus zwei Gründen zur Änderung seines Testaments gedrängt hatte. Erstens war bekannt, dass John Dudley und der Thronrat auf keinen Fall einen katholischen Herrscher wollten, und Prinzessin Maria, König Eduards sehr viel ältere Halbschwester, war eine fromme Katholikin. England war inzwischen seit vierundzwanzig Jahren unabhängig von den Traditionen und der Macht der römisch-katholischen Kirche. Die anglikanische Kirche war zwar nicht ohne Fehler, aber die Reform, durch die diese neue Kirche entstanden war, hatte auch Opfer gefordert. Auch ich wollte kein weiteres Blutvergießen im Namen des Christentums, und der größte Teil Englands wollte ebenfalls nicht wieder zurück zur Vormachtstellung der katholischen Kirche.
Um jedoch Maria erfolgreich von der Thronfolge ausschließen zu können, mussten der König und seine Berater irgendwie die Gesetzgebung zur Thronfolge ändern und dem Parlament Gründe dafür liefern, dass die Halbschwester Seiner Majestät das Ergebnis einer für ungültig erklärten Ehe sei und deshalb als Thronfolgerin nicht geeignet. Prinzessin Elisabeth, eine fromme Protestantin, wäre also eine passendere Nachfolgerin auf dem Thron
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