Neun Tage Koenigin
mir auch manchmal, Eure Majestät. Manchmal denke ich, es muss ein Traum sein, dass meine liebe, süße Jane jetzt meine Königin ist. Aber es ist ein schöner Traum, Eure Majestät. Es ist ein Segen Gottes für England, Euch als Königin zu haben. Das weiß ich.“
Da schaute sie an mir vorbei, den Blick auf die Welt jenseits der Fensterscheibe gerichtet. „Aber ich spüre, dass er zusammenbricht wie ein Kartenhaus.“ Jane sprach, als wäre sie allein im Raum. „Ich spüre, dass er anfängt zusammenzubrechen.“
„Was … was bricht zusammen, Eure Hoheit?“
Jane holte schwer und tief Luft und wandte ihren Blick vom Fenster weg. „Mein Entschluss.“
„Euer Entschluss?“
„Als meine Eltern und John Dudley gesagt haben, dass der König tot sei und er mich in seinem Testament zu seiner Nachfolgerin ernannt hätte, da habe ich ihnen gesagt, dass sie sich irren müssten, ganz schrecklich irren. Prinzessin Maria sei doch die Thronfolgerin. Aber sie bestanden darauf, dass der König mich zu seiner Nachfolgerin bestimmt hätte. Nicht Maria, nicht Elisabeth und auch nicht meine Mutter, sondern mich. Der König wolle durch mich verhindern, dass England wieder unter katholische Herrschaft falle. ,Nur Ihr könnt das für England tun, Jane‘, sagten sie zu mir, ‚nur Ihr.‘ Ich allein solle England vor einer sinnlosen Allianz mit Bekenntnissen retten, in denen die Gnade keine Rolle spiele. Ich allein. Gott habe diese Stellung für mich vorgesehen, damit ich mein Land rette. Und ich habe ihnen geglaubt.“
„Ist das denn nicht wahr, Eure Majestät?“
Jane schaute hinunter auf ihre im Schoß gefalteten Hände. „Ich glaube jetzt nicht mehr, dass es Gott war, der mir diese Stellung gegeben hat, Lucy. Ich glaube, dass ich ihm vielleicht vorgegriffen habe.“
„Aber der König hat doch in seinem Testament verfügt …“
„… was John Dudley, Herzog von Northumberland, ihm gesagt hat.“
„Eure Majestät …“
„Guildford will, dass ich ihn zum König ernenne. Kannst du das glauben? Er will, dass ich das Parlament ersuche, ihn zum König zu ernennen. Seine Mutter erwartet das und sein Vater auch.“
„Ach, Mylady!“ Eine eigenartige Abscheu befiel mich bei diesem Gedanken. Guildford als mein König …
„Ich habe mich natürlich geweigert, und das werde ich auch weiterhin tun. Guildford hat versucht, wieder aus dem Tower auszuziehen. Er wollte zurück zu seiner Mutter und schmollen, weil ich ihn nicht zum König machen will. Ich musste den Wachen befehlen, ihn zurückzuholen. Kannst du dir vorstellen, wie schrecklich es aussehen würde, wenn die Königin von England nicht einmal mit ihrer eigenen Ehe zurechtkommt?“
„Sie … sie können Euch nicht zwingen, nicht wahr, Eure Majestät?“
„Nein, Lucy, das können sie nicht. Es gibt Dinge, zu denen bringt mich niemand. Das ist mir endlich klar geworden.“ Sie sagte das, als hätte sie dieses Privileg schon immer gehabt. Ich sah sie ehrfürchtig an.
„Es gab Augenblicke, am ersten Tag und am zweiten, da dachte ich, dass ich meine Eltern, Edward Seymour und sogar dich, Lucy, stolz machen würde. Ich stellte mir vor, dass ich mit der Macht und dem Einfluss, den der Titel einer Königin mit sich bringt, etwas Gutes tun würde. Aber seit ich dem Plan zugestimmt habe, sammeln sich Kräfte gegen mich, von innen wie von außen.“
„Wie meinen, Eure Majestät?“
Aber sie sprach einfach weiter.
„Bewahrst du den Ring an einem sicheren Ort auf, Lucy?“
„Der Ring liegt in der Schublade meines Sekretärs, Eure Majestät.“
„Vielleicht solltest du ihn lieber an einer anderen Stelle verstecken. Und bitte erzähle niemandem, dass er mir gehört. Ich hätte ihn sehr gerne eines Tages zurück. Ich weiß nicht, wann das sein wird, aber ich habe Angst vor dem, was die Zukunft für mich bereithält. Würdest du das für mich tun?“
Zum ersten Mal, seit ich den Raum betreten hatte, klang ihre Stimme kindlich und bang.
„Aber natürlich, Mylady.“
Sie stand auf, und ich erhob mich ebenfalls. Dann verneigte ich mich.
„Danke, Lucy. Es tut mir leid, dass ich so tun musste, als sollest du in einer Angelegenheit der königlichen Garderobe herkommen, aber ich wollte unbedingt verhindern, dass jemand Fragen stellt.“
„Ich habe mit Eurem Kleid angefangen, Mylady. Es ist aus sehr weichem Samt in einem sehr dunklen Blau. Es sieht so aus wie der Nachthimmel, fast schwarz. Mit winzigen Plisseefalten und Ärmeln mit Besätzen aus elfenbeinfarbenem
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