Neun Tage Koenigin
hingerichtet. Es wurde erzählt, dass er in den Stunden vor seiner Hinrichtung noch zum Katholizismus konvertiert sei und dass die inhaftierte Lady Jane vom Fenster ihrer Gemächer aus zugeschaut hätte, wie er zum Schafott geführt wurde, nachdem der ehemals überzeugte Protestant noch an einer Messe teilgenommen hatte. Es wurde außerdem gemunkelt, dass Edward Seymour bei der Hinrichtung zugegen gewesen sei. Ich konnte mir nur vorstellen, welch schreckliche Gefühle dem jungen Mann durch Kopf und Herz gegangen sein mussten, als er zugeschaut hatte, wie John Dudley dem Richter aller Seelen zugeführt wurde. Und mich schmerzte der Gedanke, dass Jane, wenn sie John Dudley zum Scharfrichter hatte gehen sehen, sicher auch ihren geliebten Edward in der Zuschauermenge erspäht hatte.
In den darauffolgenden Tagen konnte ich weder schlafen noch essen. Ich wollte Jane unbedingt besuchen, aber mir war auch klar, dass das unmöglich war. Besucher hochrangiger Gefangener im Tower brauchten eine Genehmigung des Kronrates, und für diese Männer war ich ein Nichts. Ich konnte nur für Jane beten und Gott um Barmherzigkeit anflehen, was ich auch tat.
Da John Dudleys Prozess und seine Hinrichtung so schnell vonstattengegangen waren, rechnete ich jetzt täglich mit Janes Begnadigung. Schließlich war auch ihr Vater begnadigt worden, und er war viel stärker in Dudleys Pläne verwickelt gewesen als Jane selbst. Es verging jedoch ein Tag nach dem anderen, ohne dass auf den Straßen Neuigkeiten darüber verbreitet wurden, dass jemand den Tower verlassen hätte.
Stattdessen begann Königin Maria ihre Pläne in Angriff zu nehmen, England wieder zum Katholizismus zurückzuführen, so wie Dudley es bereits vorausgesagt hatte. Dabei bestand ihr erster Schritt darin, das Drucken und Predigen aller religiöser Abhandlungen ohne Zustimmung des Hofes zu verbieten. Darüber hinaus verbot sie jegliche Verunglimpfung des katholischen Glaubens. Im September gab es dann Gerüchte, denen zufolge die Königin, die bei ihrer Thronbesteigung bereits siebenunddreißig Jahre alt war, eine Ehe mit dem katholischen Prinzen Philip von Spanien anstrebte. Das sorgte für große Aufregung, was mich allerdings überraschte. Hatte denn der Kronrat oder sonst jemand tatsächlich geglaubt, die neue Königin würde einen Protestanten heiraten?
Es wurde Oktober, und mit ihm kam das abrupte Ende der drückenden Sommerhitze. Jane war Anfang des Herbstes sechzehn geworden, aber es gab immer noch keine Begnadigung.
Am 13. November schließlich wurden Lady Jane und fünf andere – unter ihnen auch Guildford Dudley und der Erzbischof Thomas Cranmer – vor Gericht gestellt. Man warf ihnen Hochverrat vor. In meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass Jane unschuldig war, und ich war sicher, dass auch die Königin es wusste. Ich versuchte, mir einzureden, dass dieser Prozess sicher nur eine Formsache war und Jane gewiss begnadigt werden würde, genau wie schon ihr Vater zuvor.
Als sich herumsprach, dass Jane und die anderen für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden waren, sank ich vor Schreck und Angst auf die Knie. Nicholas musste mir aufhelfen und mich in unser Zimmer tragen, wo er mich tröstete, so gut er konnte.
„Es wurde noch kein Hinrichtungsbefehl unterzeichnet“, sagte er. „Die Königin hat ihr Todesurteil noch nicht unterzeichnet.“
Und tatsächlich, es war noch nichts Derartiges in die Wege geleitet worden, aber schon bald erfuhren wir, dass der neue spanische Botschafter die Königin drängte, Jane hinrichten zu lassen. Seiner Meinung nach stellte sie eine Bedrohung dar, weil es nicht unerhebliche Proteste gegen die Pläne der Königin gab, einen Katholiken zu heiraten.
Ich hätte Jane so gern geschrieben, um ihr Mut zu machen, aber das erlaubte Nicholas mir nicht. Er fürchtete, dass ich mich dadurch selbst in Gefahr bringen könnte, weil man mich für die Vertraute einer verurteilten Hochverräterin der Krone halten könnte, und er versicherte mir, dass dies wahrscheinlich auch der Grund dafür sei, weshalb Jane mir nicht schrieb.
Die Weihnachtsfeiertage verbrachten Nicholas und ich bei meinen Eltern. Wir versuchten, möglichst unbeschwert zu feiern, aber wir waren uns dennoch bewusst, dass uns und unserem Land in den kommenden Tagen und Monaten unter Umständen noch Schreckliches widerfahren sollte. Meine Familie hatte Verständnis für mein Mitgefühl mit Lady Jane, aber ich wurde auch zur Vorsicht ermahnt. Es lagen ungewisse Zeiten
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