Neun Tage Koenigin
doch noch konvertiert, genau wie sein Vater, aber Jane blieb standhaft. Sie glaubte nicht an die Lehren Roms, und sie wollte keinen Meineid schwören, indem sie so tat, als wäre es anders. Und das ist wohl die erstaunlichste aller Entscheidungen, die sie getroffen hat. Ich halte sie also nicht für eine junge Frau, die keinerlei Möglichkeit hatte, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Ich weiß, dass es von vielen so gesehen wird, aber ich gehöre nicht dazu. Und wenn Sie mit der Überzeugung leben wollen, dass der Ring, den Sie tragen, einmal Lady Jane Grey gehört hat, dann würde ich Ihnen vorschlagen, das ebenfalls nicht zu tun.“
In dem Augenblick schienen alle Puzzleteile an ihren Platz zu fallen.
Ich hatte gedacht, es wäre einfach gewesen zu glauben, dass ich mich bis zu diesem Punkt in meinem Leben ständig dem Willen anderer gebeugt hatte.
Aber es war strapaziös gewesen.
Und damit war jetzt Schluss.
Fünfunddreißig
Es war noch hell, als ich vor Brads Haus anhielt. Ich fand den Schlüssel und einen Zettel unter der Fußmatte.
Jane,
tut mir leid, dass nichts zu essen da ist. Ich wollte eigentlich noch einkaufen, aber es gab zu viele Notfälle in der Klinik. Ich glaube, es steht noch eine Dose Tomatensuppe in der Speisekammer. Eigentlich müsste ich es schaffen, morgen bis zum Wettkampf wieder da zu sein. Warte aber nicht auf mich.
Brad
Ich zerknüllte den Zettel und steckte ihn in die Tasche. Im Haus ging ich dann von Raum zu Raum, öffnete Fenster, um frische Luft hereinzulassen, aber eigentlich, um festzustellen, wie die einzelnen Räume sich für mich anfühlten. Was wäre, wenn das hier mein Zuhause wäre? Was wäre, wenn ich hier mit Brad leben würde? Was wäre, wenn das hier meine Küche wäre? Mein Wohnzimmer, mein Esszimmer, meine Terrasse?
Ich ging nach oben ins Gästezimmer und stellte mir vor, wie Connor in den Weihnachts- und Sommerferien dort schliefe. Ich stellte mir seine Poster an den Wänden vor – vom Boston-Marathon und Motive aus Neuseeland –, seine Pokale von den Highschool-Wettkämpfen auf dem Regal über der Kommode und seine Baseballcaps auf den Bettpfosten.
Dann ging ich ins Schlafzimmer. Dort stellte ich mir ein anderes Bett vor. Nicht das hier. Aber auch nicht das aus unserer alten Wohnung in Manhattan, sondern ein neues Bett.
Ich stellte mir unsere Schwarz-Weiß-Fotos von Boston und Quebec an den Wänden vor. Ich stellte mir vor, wie meine Schuhe auf dem Fußboden auf meiner Seite des Bettes lagen, meinen Schmuck auf dem Nachttisch, meinen Duft in der Luft.
Ich ging zum Bett hinüber und setzte mich langsam darauf, schloss die Augen und stellte mir vor, in einem Haus wie diesem zu sein, wenn es regnete, wenn meine Eltern zu Besuch kamen, wenn einer von uns Grippe hatte und wenn wir unsere Silberhochzeit feierten.
Ich stellte mir vor, nach Feierabend in diesen Raum zurückzukehren, nachdem ich meinen kleinen Antiquitätenladen in der Innenstadt von Manchester zugesperrt hatte. Oder vielleicht auch nicht.
Vielleicht gäbe es gar keinen kleinen Laden in der Innenstadt von Manchester. Ein Antiquitätengeschäft zu führen stand nämlich gar nicht auf meiner Liste von Dingen, die ich gern tun würde. Ich hatte nichts darüber geschrieben, dass ich ein Geschäft besitzen oder leiten wollte. Schätze aus der Vergangenheit waren weiterhin verlockend für mich, aber ich fand es offenbar nicht mehr verlockend, sie zu verkaufen.
Vielleicht würde ich stattdessen Vorlesungen bei Professor Claire Abbot belegen. Vielleicht würde ich eines Tages Geschichte unterrichten, genau wie sie.
Vielleicht würde ich mir die hübsche weiße Kirche in der Nähe von Brads neuem Krankenhaus einmal etwas genauer anschauen. Ich würde vielleicht überlegen, worauf Jane Grey ihr Leben aufgebaut hatte. Einen Hund anschaffen. Walzer tanzen lernen.
Meine Liste wurde länger.
Ich ging wieder zurück in die Küche, weil ich Hunger hatte.
Brad hatte recht. Der Kühlschrank war praktisch leer. Ich stieg wieder ins Auto und fuhr zu einem kleinen Lebensmittelladen in der Nähe. Ich beschloss, es nicht zu übertreiben und nur das Nötigste zu kaufen. Brot, Eier, Käse, Bananen und Hähnchenbrustfilets, weil Brad die so mochte. Reis, Babymöhren, Müsli und Milch. Und für mich eine Mikrowellenvorspeise zum Abendessen. Und Zutaten für einen Roten Samtkuchen, einschließlich einer Teflonkuchenform, weil ich sicher war, dass Brad keine besaß. Ich liebe Roten Samtkuchen.
Dann fuhr ich
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