Neun Tage Koenigin
genau, dass sie mich am liebsten gefragt hätte, was ich von ihren Gesprächen mitbekommen hatte, aber das konnte sie nicht wagen, denn sie kannte mich ja ebenfalls noch nicht.
Ich erzählte ihr nicht, dass sich die Gespräche in der Küche an jenen Tagen fast ausschließlich um die verrückte Geschwisterrivalität zwischen dem Lord Admiral und dem Lordprotektor gedreht hatten. Es war davon die Rede gewesen, dass der Admiral nicht in der Lage gewesen sei, Lady Janes Heiratsaussichten zu verbessern, sodass ihr Vater, der Marquis, jetzt eine Ehe zwischen Jane und dem jungen Edward Seymour, dem Neffen des Admirals, in Erwägung zog.
Die Eifersucht zwischen den beiden Seymour-Brüdern war legendär, das wusste auch Mrs Ellen. Alle wussten es. Und sie ahnte die Gründe für den Besuch des jungen Edward Seymour in Bradgate auch, ohne dass ich ihr erzählte, was die Dienstboten untereinander redeten.
„Arme Jane“, flüsterte sie leise, aber ich hörte es trotzdem. Ich hatte den jungen Edward Seymour während seines Besuches in Bradgate beobachtet. Er war höflich zu den Bediensteten gewesen, liebenswürdig dem Marquis und der Marquise gegenüber und respektvoll zu seiner Mutter. Er schien ein echter Gentleman zu sein. Ich riskierte eine Frage, um Mrs Ellen wissen zu lassen, dass sie offen sprechen konnte, wenn sie es wünschte.
„Ist Edward Seymour nicht ein netter junger Mann?“ Dabei wagte ich es nicht, von meiner Näharbeit aufzublicken.
Mrs Ellen antwortete nicht, und ich blickte mit einem Auge auf, um zu sehen, ob sie wohl vorhatte, mich für meine vorlaute Frage zu tadeln, aber ich sah nicht Zorn, sondern Beunruhigung in ihrer Miene. Es war, als könnte sie bereits sehen, dass wir verbunden waren, sie und ich – verflochten mit dem Leben der jungen Lady Jane, während über ihr Schicksal entschieden wurde –, und dass keine von uns daran irgendetwas würde ändern können.
„Er ist ein feiner junger Mann.“ Ihre Antwort kam langsam und gemessen und lud mich – wenn auch widerstrebend –
zu einer gewissen Vertraulichkeit ein. „Aber du und ich, wir wissen beide, dass das selten eine Rolle spielt, wenn eine Frau von königlichem Blut verlobt werden soll.“
Sie wartete auf mein Kopfnicken, die stillschweigende Bestätigung, dass mir natürlich bewusst war, dass, wen auch immer Lady Jane heiraten würde, es weder mich noch sie, ja, nicht einmal Lady Jane selbst etwas anging.
„Ja.“ Ich hielt ihrem Blick einen Moment stand und schaute dann wieder auf meine Näharbeit. Mrs Ellen blieb noch einen Augenblick dort stehen, wo sie stand, und dann hörte ich, wie sie sich umdrehte und das Ankleidezimmer verließ. Ich blickte genau in dem Moment wieder auf, als ihr Rock im Türrahmen verschwand.
Ich betrachtete das Mieder vor mir, dachte an den winzigen Oberkörper, der es ausfüllen würde, und fragte mich, was wohl Jane von den Plänen ihres Vaters hielt, sie erst mit dem König verheiraten zu wollen und jetzt möglicherweise mit dem Sohn des Lordprotektors. Wusste sie überhaupt etwas von diesen Plänen? Bridget hatte mir erzählt, dass Lady Jane immer nur läse, schriebe und Texte übersetze. Ihre Hauslehrer seien brillante Gelehrte. Die junge Lady beherrsche fünf Sprachen und sei sehr klug. Also wusste sie ganz sicher davon.
Meine Gedanken schweiften unwillkürlich zu meiner Schwester Cecily, die im selben Alter war wie Jane und deren Heiratsaussichten für niemanden irgendwelche Folgen hatten.
Und dasselbe galt auch für mich.
Acht
Meine Mutter, die ebenfalls Damenschneiderin ist – und zudem eine sehr gute –, erzählte mir einmal, Schwarz sei eine Farbe, die flüstere. Purpurrot schreie, Gelb lache, Blau und Grün sängen, Weiß verkünde und Violett locke. Aber Schwarz sei immer gedämpft und manchmal auch stumm. Ich fragte sie, was Schwarz denn flüstere, und sie sagte, wenn man siegreich sei, dann flüstere Schwarz Beifall zu, und wenn man trauere, flüstere es Beileid.
„Und was ist, wenn weder das eine noch das andere zutrifft?“, hatte ich sie gefragt.
„Dann trägt man eine andere Farbe“, war ihre Antwort gewesen.
Als die Änderungen am Trauerkleid von Mylady abgeschlossen waren, legte ich es mir wieder über die Arme, damit die Knitterfalten aushingen. Und in dem Augenblick wusste ich, dass meine Mutter recht hatte. Das Kleid flüsterte mir zu: „Sie weint, sie weint, sie weint.“
Als ich endlich die Nadeln weglegte, war die Sonne beinahe untergegangen, und ich war allein
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