Neun Tage Koenigin
angesprochen zu haben, aber dann drehte sie sich um, sah mich an, und ich wusste, dass sie mit mir geredet hatte. Und sie wartete darauf, dass ich etwas dazu sagte.
„Zurück, Mylady?“, fragte ich.
„Nach Bradgate.“ Jane sprach den Namen ihres Zuhauses gleichermaßen sehnsüchtig und erschrocken aus.
„Ihr … Ihr mögt Bradgate nicht?“
Sie seufzte leise. „Ich liebe Bradgate.“
Ich markierte den Stoff an der Stelle, an der ich Abnäher einfügen musste, und wartete. Wieder wusste ich nicht, was ich dazu sagen sollte.
„Aber ich war hier bei der Königin glücklich. Und sie war auch glücklich. Trotz all dessen … all dessen, was passiert ist.“ Jane hielt einen Moment lang inne, so als hätte sie schon viel zu viel gesagt. Dann fuhr sie fort: „Die Königin hat den Lord Admiral geliebt, und sie hat dieses Kind geliebt … und sie hat sogar mich geliebt. In Bradgate ist das … anders.“
Sie senkte leicht den Kopf und sah mich an. „Wie lange bist du schon in Bradgate?“
„Seit Anfang des Jahres, Mylady.“
„Und wo warst du vorher?“
„In London, in Whitehall.“
Da schien sie im Kopf eine Gleichung aufzustellen und abzuschätzen, wie wahrscheinlich es wohl war, dass ich verstehen würde, wie es war, als Kind einer Adelsfamilie im elterlichen Zuhause zu leben. Und außerhalb davon. Und mir kam es so vor, als redeten wir nicht über das Zuhause an sich, sondern über die Erwartungen für das Leben innerhalb der Mauern eines solchen Zuhauses. Ich weiß nicht, ob sie bei ihren Überlegungen zu einem Ergebnis kam, denn Mrs Ellen betrat wieder den Raum, und Lady Jane verstummte.
„Bist du immer noch nicht fertig, Mädchen?“, fragte mich Mrs Ellen mit finsterem Blick und war eindeutig enttäuscht, dass Jane immer noch umgeben von Stoffmassen dastand, während ich zurechtzupfte, feststeckte und heftete. „Hätte Bridget nicht kommen können?“
Ich straffte mich ein wenig und flüsterte dann der Lady zu, dass ich ihr sofort aus dem Kleid helfen würde. „Miss Bridget fühlte sich verpflichtet, bei den übrigen Garderobenbediensteten in Bradgate zu bleiben“, sagte ich, während ich Lady Jane aus dem Rock half. Mrs Ellen erwiderte darauf nichts weiter, also knickste ich und verließ mit dem Kleid das Zimmer, bevor sie mir noch mehr Fragen stellen konnte.
Jetzt, eine Stunde später, kam Mrs Ellen in die Garderobe, um zu kontrollieren, wie weit ich mit den Änderungen war.
Ich hatte gerade die letzte Korsettstange an ihren Platz geschoben und fädelte jetzt den Faden für die letzte Naht ein.
„Hast du Neuigkeiten aus Bradgate?“, fragte sie mich schließlich.
Weil ich Mrs Ellen nicht kannte, wusste ich nicht, ob sie damit Dienstbotenklatsch meinte, den es sicher reichlich gab. Doch weil ich in den Wohnräumen der Herrschaft arbeitete, hatte Bridget sich stets bemüht, mich von dieser Art Klatsch und Tratsch möglichst fernzuhalten und abzuschirmen, damit mir nicht in Gegenwart der Marquise oder von Janes kleinen Schwestern irgendetwas Unangemessenes herausrutschte. Doch Getuschel unter den Bediensteten gab es natürlich ständig. Diejenigen, die in den Wohnräumen der Herrschaft arbeiteten, taten zwar immer so, als hörten sie das Getuschel nicht, aber die anderen Bediensteten in den Gesinderäumen wussten genau, dass wir es mitbekamen.
Ich antwortete also, dass der Marquis und die Marquise wohlauf seien und gerade eine Jagdgesellschaft zu Gast gehabt hätten.
Mrs Ellen stellte ihre Tasse ab und fragte: „Und wer waren die Gäste?“
Ich stach mir mit der Nadel in den Finger, als ich versuchte, mich zu erinnern, wer im Einzelnen in letzter Zeit in Bradgate zu Gast gewesen war. Es waren etliche Gäste dort gewesen, aber meine Dienste waren nicht benötigt worden, weil Bridget sich um die Garderobenbelange der Gäste gekümmert hatte. Mrs Ellen neigte abwartend den Kopf zur Seite.
„Vorletzte Woche waren Lord und Lady Darlington zu Gast. Und … und ein Adliger aus Leeds, dessen Name mir entfallen ist.“ Mrs Ellen schaute hinunter auf ihre Tasse und wirkte gelangweilt.
„Ach ja, und dann war noch der junge Edward Seymour da, der Sohn des Lordprotektors, und seine Mutter.“
Da schaute sie auf und stellte ihre Tasse ab. „Der Sohn des Lordprotektors? Bist du ganz sicher?“
„Ja, Ma’am, ganz sicher.“
„Er und seine Mutter waren Gäste bei einer Jagdgesellschaft?“, fragte Mrs Ellen noch einmal mit gerunzelter Stirn.
„Ja, ich glaube schon.“
Ich spürte
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