Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
natürlich wirken –Strategie ist gar nicht mal so dämlich. Ihnen wird nicht großartig auffallen, wenn ein Arzt für Zubehör in den Keller fährt. Deshalb bin ich heute Morgen auch ohne große Bedenken die Treppen hinuntergegangen.“
Leonard zog eine Augenbraue hoch. „Und wie sieht die Sache bei zwei Ärzten und einem Wäschewagen aus?“
Alina überlegte einen Moment. „Wir haben einen Wäschesack auf Rädern, in den Natalia hineinpassen könnte. Wenn ich noch etwas Zubehör auf sie packe, wird es so aussehen, als würde ich überflüssiges Material zurückbringen. Es könnte funktionieren.“
„Das Zeug, das du auf mich draufpacken willst… können das vielleicht Decken sein?“
„Ein paar Decken, um dich zu verstecken, und einige Verbandskästen oben drauf. Nur leichte Sachen. Den Jungs vom Sicherheitsdienst wird es ziemlich egal sein, was ein Arzt in den Vorratsraum runterbringt oder was er heraufholt.“
„Das hoffst du“, sagte Leonard.
„Sie werden nur nach auffälligem Verhalten Ausschau halten. Was ist denn bitte auffällig an zwei weißen Kitteln und einem Wäschewagen?“
„Nichts, nehme ich an.“
„Wartet hier“, sagte Alina, als sie vom Stuhl sprang und aus dem Raum lief. Einige Minuten später kam sie mit einem beigen Leinen–Wäschesack auf Rädern zurück. Zwei Decken, ein weißer Kittel, Gummihandschuhe und fünf Dutzend Kästen mit Verbandsmull lagen darin.
Leonard zog den Kittel an. „Etwas eng, aber es wird gehen.“ Sie halfen Natalia dabei, in den Wäschesack zu steigen. „Und niemand wird es seltsam finden, dass du gerade mit einem Wäschewagen in dein Büro gefahren bist?“
„Hör auf, dir Sorgen zu machen, Leonard. Je früher wir hier wegkommen desto besser.“
Er zögerte. „Die Leute werden merken, dass ich kein Arzt bin. Jemand wird uns auf dem Gang anhalten und fragen: ‚Wer sind Sie denn?‘“
„Daran habe ich schon gedacht.“ Alina zog eine OP–Haube und eine Maske aus ihrer Tasche und reichte sie ihm. Nachdem er beides angezogen hatte, machte sie ihre Hände nass und befeuchtete seinen Kopf.
„Was machst du da?“
„Lauf vor mir her“, wies sie ihn an. „Langsam, so als wenn du müde wärst und es ein langer Tag gewesen ist. Lauf an jedem vorbei, der versucht, Augenkontakt mit dir herzustellen. Ich werde dann im Gang vor dem Aufzug zu dir stoßen—“
„Und der wäre wo genau?“
„Ungefähr sechs Meter den Flur hinunter und dann links.“ Sie verteilte vorsichtig Decken und Verbandskästen über Natalia. „Wenn dich niemand anguckt, nimm deine Maske ab und wisch dir mit der Hand über die Stirn. Wir gehen zusammen in den Aufzug und plaudern über das Wetter oder etwas Ähnliches.“
Leonard blähte seine Backen auf. „Den Flur hinunter. Erschöpft aussehen. Links in den Aufzuggang. Maske abnehmen. Stirn abwischen.“
„Alles klar?“
„Ja.“
„Ok, los geht’s.“
Leonard folgte ihren Anweisungen ganz genau. Er mied jeglichen Augenkontakt mit Krankenhauspersonal, das an ihm vorbeiging. Wenn ihn sein Gehör nicht täuschte, befand sich Alina mit dem Wäschewagen nur einige Schritte hinter ihm. Er wurde zuversichtlicher und lief auf den Gang zu. Womit er nicht gerechnet hatte, waren drei kichernde Krankenschwestern, die auf den Aufzug warteten. Er blieb kurz stehen, sah über seine Schulter und hoffte, dass Alina einen Ersatzplan parat hatte. Dann ging er weiter auf die drei Krankenschwestern zu.
Jeweils zwei Aufzüge auf beiden Seiten summten pflichtbewusst vor sich hin. Die Krankenschwestern hatten den Aufwärts–Knopf gedrückt, plauderten miteinander und nahmen den sich nähernden Arzt gar nicht wahr. Dennoch zögerte Leonard und befürchtete, dass sie ihn jeden Moment entdecken und neugierig ansehen könnten. Es kam ihm ziemlich unnatürlich vor, zu diesem Zeitpunkt noch die Maske aufzubehalten, also nahm er sie hastig ab und wischte sich mit der Hand über die Stirn.
Zum Glück lief Alina in dem Moment an ihm vorbei und sprach ihn in einem neckischen Ton an. „Dafür sind Sie mir was schuldig, das ist Ihnen wohl hoffentlich klar?“, zog sie ihn auf, während sie auf den Abwärts–Knopf drückte.
Zwei der Krankenschwestern sahen geistesabwesend in Alinas Richtung.
„Immerhin habe ich dreißig Minuten da unten verbracht, um Ihre heiß geliebten blauen Jimnie–Gelschreiber zu suchen. Das Geringste, was Sie jetzt für mich tun können, ist mir dabei zu helfen, diesen ganzen Kram wieder wegzubringen und den
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