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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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das leuchtet.“ Sie schob Leonard durch den Raum und öffnete die Tür zu dem anliegenden Zimmer. Sie stieß ihren Ehemann und ihre Tochter hindurch und versuchte, die Tür hinter ihnen zu schließen, aber Leonard stellte seinen Fuß in den Rahmen.
    „Wir können nicht einfach ohne dich gehen“, flüsterte er.
    Alinas Gesichtsausdruck wurde sanfter. „Doch, das könnt ihr. Weil ich es euch befehle. Weil unsere Tochter sonst ins Gefängnis geht, wenn du nicht auf mich hörst.“
    „Aber dann werden sie dich ins Gefängnis stecken.“
    „Nee.“ Sie lachte wenig überzeugend. „Ich habe die Jungs in fünf Minuten wieder vom Hals.“
    „Aber wenn sie merken, dass Natalia und ich geflüchtet sind, werden sie es bis zu dir zurückverfolgen.“
    Nachdem die Wachen den Bereich auf der rechten Seite durchsucht hatten, bewegten sie sich zurück in Richtung des MRT–Raums.
    „Los!“, fauchte Alina im strengsten Tonfall, den sie im Flüstern fertigbrachte. Dann wurde ihre Stimme sanfter. „Bitte, Leonard… lass das Ganze nicht umsonst gewesen sein.“ Sie trat auf seinen Fuß. Er sprang unfreiwillig zurück und sie schloss schnell die Tür hinter ihm. Er versuchte, sie wieder zu öffnen, aber sie hielt sie zu.
    Er drehte sich um und sah Natalia an.
    Sie verschränkte die Arme und versuchte, ihre Tränen wegzublinzeln. „Ich werde nicht ohne Mom gehen.“
    Die Sicherheitsmänner kamen näher und ihre Stimmen waren nun klar und deutlich zu hören.
    „Was ist hier drin, Stan?“
    Ohne sich umzudrehen, schnappte sich Leonard seine sture Tochter und zog sie weiter hinunter in den Keller. Sie wehrte sich, schrie glücklicherweise jedoch nicht.
    „Scheiße“, hörte er Alina sagen, während sie sich weiter zurückzogen. „Warum haben Sie das Licht angemacht?“, fuhr sie die Wächter an. „Ich hätte es fast gehabt. Was zum Teufel machen Sie beide überhaupt hier unten?“
    Es folgten gemurmelte Entschuldigungen, aber Leonard konnte keine einzelnen Worte mehr ausmachen. Er eilte auf einen Ausgang in der Ecke auf der anderen Seite des Ganges zu und zog Natalia an der Hand mit sich. Das Mädchen folgte ihm nun, ohne sich zu widersetzen, während ihr Tränen über das Gesicht liefen.
    Leonard drückte die Tür auf und eine Brise frische Luft wehte durch sein Haar. Eine große Steintreppe führte zu einem Parkhaus hinauf. Leonard zog Natalia über die Schwelle und die Tür schnappte hinter ihnen ins Schloss.
    Natalia drehte sich um und rüttelte vergeblich an dem Griff. Sie weinte hysterisch. Die verschlossene Tür bewegte sich kein Stück.

Kapitel Sechsundzwanzig

     
    Leonard fuhr für ungefähr dreißig Minuten wie ferngesteuert, während Natalia neben ihm gelegentlich ein Schniefen von sich gab. Er befand sich auf der I–225, eine ständige Erinnerung an den Unfall, der zu Tommy Richardsons Tod geführt hatte. Als er nach Süden auf die I–25 abbog, brach Natalia das Schweigen.
    „Sollten wir nicht nach Norden fahren?“
    „Hä?“
    „Norden.“ Sie deutete mit dem Finger nach hinten. „Du weißt schon, in die andere Richtung.“
    Leonard sah in den Rückspiegel und, obwohl er immer noch ziemlich durcheinander war, glitt langsam wieder in die Realität zurück.
    „Auf die I–70?“, fuhr sie ihn an.
    „Oh. Stimmt. Ich fahr auf der C–470 zurück.“
    Es kehrte wieder Stille ein. Natalia hielt den Kopf zur anderen Seite gedreht und begutachtete die Umgebung, als ob sie das Denver Tech Center noch nie zuvor gesehen hätte. Leonard war sich noch nicht mal mehr sicher, ob es immer noch so hieß. Es schien aus einer Reihe bundesstaatlicher Geschäftsgebäude zu bestehen, um die herum sich Sozialwohnungsprojekte ansammelten. Nichts in dem Durcheinander erinnerte auch nur ansatzweise an etwas Technisches, aber das schien nun auch nicht mehr wichtig.
    Nun, da ihm die Lage, in der er sich befand, bewusst wurde, überkam Leonard eine Woge des Schmerzes und der Schuldgefühle. Ein Schamgefühl, um genau zu sein. Er schämte sich. Warum habe ich sie nicht zuerst gehen lassen?
    Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, drehte sich Natalia plötzlich zu ihm um und klagte ihn an. „Das ist alles deine Schuld.“
    Das stimmt.
    „Wenn du Mom zuerst hättest gehen lassen… dann…“ Ihre Stimme zitterte.
    „Dann wäre sie jetzt statt mir hier.“
    Natalia sagte dazu nichts mehr. Sie drehte ihren Kopf so weit weg von ihm, wie nur möglich. Während sie schweigend weiterfuhren, war ab und zu ein Schniefen zu hören.
    Sie

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