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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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Hauptgebäudes befand sich eine große, offene Eingangshalle; sie war sehr geräumig, momentan jedoch überlaufen von neu ankommenden ABV–Mitarbeitern, die sich gegenseitig anrempelten und versuchten, ihren Weg durch den Irrgarten schläfriger Menschen zu finden. Die Decke war ungefähr zehn Meter hoch und die Vorhalle ließ sich von zwei Stockwerken aus überblicken. Links führten Treppen mit teuren Teppichen zum zweiten und dritten Stockwerk. Rechts bedeckte ein drei Stockwerke hohes Porträt die gesamte Wand.
    Leonard taumelte erschrocken einen Schritt zurück. Eine Frau fluchte und schubste ihn zur Seite. Er kämpfte sich weiter durch die Menschenmenge und ließ seine Augen dabei nicht von dem absurden Bild.
    Der markante Mann auf dem Porträt schien die ABV–Mitarbeiter dabei zu beobachten, wie sie sich durch die Eingangshalle drängten. Sein überheblicher Gesichtsausdruck und sein dunkelgrauer Ziegenbart erinnerten Leonard an jemanden, aber ihm fiel nicht ein an wen. Leonard bekam eine Gänsehaut. Nie zuvor, noch nicht einmal, seitdem er sich in dieser verqueren alternativen Realität befand, war ihm die Welt so surreal vorgekommen wie jetzt.
    Er schaute geradeaus und suchte McGinnis. Er entdeckte ihn vor drei überfüllten Korridoren, in denen sich jeweils sechs Aufzüge befanden.
    „Reiß dich zusammen, verdammt noch mal“, sagte McGinnis. „Du hättest Zuhause bleiben sollen.“
    „Tut mir leid. Mir ist etwas schwindelig.“
    „Lass uns gehen.“ Der Rotschopf drehte sich um und ging zu den Aufzügen auf der rechten Seite.
    „McGinnis“, rief ein Mann, als sie sich den Aufzügen näherten. Ein paar Dutzend Mitarbeiter standen in dem Korridor. „Tramer“, sagte der Mann und nickte Leonard zu. Leonard reagierte mit einer ähnlichen Kopfbewegung.
    „Hey Wilson“, rief McGinnis. „Hast du das Spiel gesehen?“
    „Das war der Hammer.“
    „Rate mal, wer da war.“
    Zu Leonards Erleichterung riss McGinnis den Rest der Unterhaltung an sich und prahlte mit seinen Footballkarten. So konnte sich Leonard wenigstens etwas sammeln und genau beobachten, was seine Kollegen taten.
    Mehrere Aufzugtüren öffneten sich gleichzeitig. Leonard, Wilson und McGinnis stiegen, zusammen mit fünf anderen Mitarbeitern, in den nächstgelegenen Aufzug ein. Leonard ging nach ganz hinten durch, sodass er McGinnis folgen konnte, sobald sie da waren. Da sein neuer Freund ihm angeboten hatte, ihn gleich zur Kaffeemaschine zu bringen, nahm Leonard an, dass sie in derselben Etage arbeiteten. Wenn er McGinnis vom Aufzug aus folgen könnte, hätte er auf dem Weg die Möglichkeit, sich bei all den Sicherheitskontrollen an ihm zu orientieren und Leonards Ankunft würde dementsprechend viel einfacher verlaufen.
    Eine Frau weiter vorne im Aufzug drückte auf die Neun und zog ihre Karte durch den Schlitz. Der Mann neben ihr drückte auf die Drei. Er zog seine Karte ebenfalls durch den Schlitz. McGinnis wählte die fünfte Etage und tat das Gleiche. Leonard beobachtete das Ganze. Wilson zog seine Karte nicht durch den Schlitz, also würde er vermutlich in einer der schon gewählten Etagen aussteigen.
    Sie erreichten die dritte Etage. Drei Personen stiegen aus und die Türen schlossen sich so schnell, dass sie es kaum schafften, den Aufzug zu verlassen. Leonard wünschte sich, er könnte einfach in dem Aufzug bleiben und den ganzen Tag darin auf und ab fahren.
    Ohne Rücksicht auf Leonards Gedanken öffneten sich die Türen und er stieg, in der Hoffnung er tat das Richtige, zusammen mit McGinnis und Wilson aus.
    „Bis dann“, sagte Wilson, als er den Korridor nach links hinunterging. McGinnis ging nach rechts und Leonard folgte ihm. Kein skeptischer Blick. Es sah vielversprechend aus.
    „Wilson ist so ein Schlappschwanz“, sagte McGinnis lachend. „Ich mein, ich kann ihn ja ganz gut leiden, aber er ist einer von denen, die nie was riskieren.“
    „Wie meinst du das?“
    „Ach, du weißt schon. Er geht von der Arbeit immer direkt nach Hause. Verbringt jedes Wochenende zu Hause. Er weigert sich, andere Frauen auch nur anzusehen. Der Typ tut mir leid.“
    „Oh.“ Leonard durchfuhr kurz ein ungewohntes Schamgefühl, als er über die Worte seines Freundes nachdachte.
    „Du bist heute irgendwie auch ein ziemlicher Schlappschwanz, Tramer.“
    Leonard versuchte mitzuspielen und boxte McGinnis an den Arm. Plötzlich wurde ihm klar, dass er seit der College–Zeit keinerlei Männerfreundschaften mehr aufrechterhalten hatte. Genau

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