Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
doch nicht verschlingen. Einen Moment lang enttäuschte ihn diese Erkenntnis. Er schüttelte den Kopf, um klar denken zu können, und erinnerte sich schließlich wieder an das Geständnis, das ihm Alina gerade gemacht hatte.
Natalia.
„Was zum Teufel haben diese Schweine gedroht, würden sie mit Natalia machen?“
Alina rollt die Lippen nach innen. Sie versuchte zu sprechen, aber ihre Stimme versagte. Sie hielt ihre Hand abwehrend hoch und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Dann lehnte sie sich ganz nah zu ihm und flüsterte ihm noch leiser als bereits den gesamten Abend über ins Ohr. „Sie haben mir klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass, wenn ich meinen Mund aufmachte, Natalia auf mysteriöse Weise plötzlich CARS bekommen würde. Ich versprach, dass ich das Geheimnis für mich behalten würde. Ich hatte keine andere Wahl.“
Leonard schloss die Augen, legte seinen Kopf in die Hand und erinnerte sich an einen Ausschnitt aus Alinas WLN–Akte. Subjekt hat das GM–Projekt decodiert. Die Behörden haben die Situation schnell unter Kontrolle gebracht, indem die Tochter, Natalia, benutzt wurde.
Ihm schossen die Tränen in die Augen und er zog Alina an sich ran. Mit zitternder Stimme flüsterte er: „Diese abscheulichen Monster. Ich würde am liebsten jeden, der meine Tochter bedroht, mit eigenen Händen umbringen.“
Alina hielt ihm mit einer Hand den Mund zu und presste den Zeigefinger der anderen gegen ihre Lippen. Nachdem er sich beruhigt hatte, fuhr sie fort: „Ich weiß. Daran habe ich auch schon sehr oft gedacht. Aber dann würde man Natalia und mich ins Gefängnis stecken, oder in die Klinik.“
„Wo ist sie?“
„Wer?“
„Die Klinik. Wo ist die Klinik?“
„Oh.“ Sie lehnte sich zurück und sah ihn neugierig an, scheinbar zweifelte sie immer noch an der Aufrichtigkeit seiner Verwirrung. „Die Colorado–Klinik befindet sich in den Bergen.“
„Wie groß ist sie?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich war noch nie da.“
„Hört sich so an, als hätten sie da Platz für ziemlich viele Leute. Es ist nicht zufällig ein bestehendes Bundesgefängnis?“
Alina schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste.“
Sie saßen einige Minuten schweigend da. Schließlich fragte Leonard: „Wie hast du es herausgefunden?“
„Das mit CARS?“
Er nickte. Alina nahm tief Luft. „Während Stehlen im Senat war, stand er an der Spitze jener Gesetzgebung, die den Weg bereitete für die Übernahme des Wohnungs– und Bildungswesens sowie von Unternehmen und der Gesundheitsindustrie. Bis zum Ende seiner ersten Amtszeit als Präsident hatte er so ziemlich alles davon in die Tat umgesetzt. Daher arbeitete ich vor sieben Jahren plötzlich nicht mehr für ein Privatkrankenhaus. Alle Einrichtungen des Gesundheitswesens waren nun dem Gesundheitsministerium unterstellt.“ Sie zog teilnahmslos eine Schulter hoch. „Zuerst habe ich keinen Unterschied bemerkt. Das hatte keiner. Aber über die Jahre hinweg schränkte das GM nach und nach unsere Verantwortungsbereiche ein. Zuvor hatte ich stets zahlreiche Operationen durchgeführt, aber mein Terminkalender wurde plötzlich immer leerer und leerer, bis ich irgendwann überhaupt keine chirurgischen Privilegien mehr hatte. Ich durfte noch nicht mal mehr einen Kaiserschnitt durchführen. Ich habe nur noch in der Klinik gearbeitet.“
„Das muss ziemlich frustrierend gewesen sein.“
„Das war es, aber das alles passierte noch, bevor du angefangen hattest, beim ABV zu arbeiten. Wir konnten wenigstens in unserem eigenen Haus in einer anständigen Gegend bleiben. Die Kinder waren gesund. Wir waren glücklich. Ich versuchte mich damit zu trösten, dass es uns auch schlimmer hätte treffen können.“
„Warum sollten sie einer guten Chirurgin überhaupt die Privilegien entziehen?“
„Woher willst du wissen, dass ich eine gute Chirurgin war?“ Ihre Augen verrieten einen tief sitzenden Schmerz, den Leonard nicht ganz einzuordnen wusste.
„Du hast schon immer alles geschafft, was du wolltest. Du musst einfach eine Spitzenärztin sein!“
„Gewesen sein…“
„Ich wollte nicht—“
„Ist schon in Ordnung. Ich war wirklich ziemlich talentiert. Um genau zu sein, waren viele der Leute, die in der chirurgischen Abteilung blieben, weniger begabt als ich und das war nicht nur meine Meinung. Es ergab einfach keinen Sinn. Ich wunderte mich damals schon, warum sie die chirurgischen Privilegien so vieler Ärzte aufhoben. Ich nahm an,
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