Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Leonard das Gebäude gut.
Als er die Tür aufriss, ertönte die Pausenklingel und hallte durch das gesamte Gebäude. Innerhalb von Sekunden waren eifrige Stimmen und Hunderte trampelnder Füße zu hören, die in den Korridor strömten. Einige von ihnen kamen in Leonards Richtung, um an Spinde neben dem Empfangsbüro zu gelangen, aber wie Natalia versprochen hatte, schlenderten die meisten Schüler an ihm vorbei, vermutlich waren sie auf dem Weg in die Cafeteria.
Leonard suchte die Menschenmenge erwartungsvoll mit den Augen ab und wartete darauf, dass seine Tochter auftauchen würde. Es war schwer, die Schüler voneinander zu unterscheiden, da sie alle die gleiche marineblaue Schuluniform trugen. Er sah mehrere Male auf seine Uhr. Um 12:05 Uhr befanden sich nur noch vereinzelt ein paar Schüler auf dem Korridor. Ungefähr sechs Meter von ihm entfernt hing eine Schar hübscher Mädchen, zwei von ihnen sichtbar schwanger, an einem Spind herum. Aber keine Natalia in Sicht. Leonard reckte seinen Hals und versuchte in dem Rinnsal an Kindern, die am anderen Ende des Korridors verschwanden, eine bekannte Gestalt ausfindig zu machen. Er sah erneut auf seine Uhr und wurde ungeduldig. Um 12:10 Uhr arbeitete sich ein ungutes Gefühl von seinem Magen bis in den Hals hinauf.
Irgendetwas ist passiert.
„Mr. Tramer?“
Eine Stimme schreckte ihn auf und riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Eines der hübschen Mädchen kam vorsichtig auf ihn zu, ihre drei Freundinnen folgten ihr widerwillig. Das Mädchen an der Spitze hatte kastanienbraunes Haar und dunkelbraune Augen. Sie war keine von den Schülerinnen, bei denen man schon von Weitem erkannte, dass sie schwanger waren. Dennoch ließ eine leichte Wölbung an ihrem Unterleib vermuten, dass sie ebenfalls ein Kind erwartete.
„Mr. Tramer. Geht es Ihnen gut?“
Sie kennt mich?
„Komm schon, Linda“, sagte eine leicht rothäutige, hochschwangere Schülerin zu dem Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren.
Ihre dunkelhäutige Begleiterin seufzte. „Lass sie in Ruhe. Du siehst doch, dass sie mit jemandem redet.“
„Sie redet mit einem Erwachsenen“, murrte das erste Mädchen mit zusammengebissenen Zähnen. „Und er ist kein Lehrer.“
Eine vierte Schülerin, ein weiteres dickbäuchiges Mädchen, blieb still. Sie starrte unruhig ihre Hände an und blieb einige Schritte zurück.
„Ist schon gut, Sunni“, sagte Linda. „Das ist Natalias Dad.“
Sunni sah Leonard verächtlich an und spottete: „Was auch immer.“ Sie drehte sich auf den Absätzen ihrer Schuhe um und übernahm das Kommando über die beiden anderen Mädchen. „Wir treffen dich dann in der Schulkantine, wenn du fertig mit diesem Typen bist.“
Die unverfrorene Respektlosigkeit der frechen Teenagerin verunsicherte Leonard. Er sah dem Dreiergespann nach, wie es den Korridor hinunterlief.
„Mr. Tramer“, flüsterte Linda eindringlich. „Was machen Sie hier?“
„Ich… äh…“ Leonard zog die Brauen zusammen und sah in die Augen des Mädchens vor ihm. Offensichtlich kannte sie ihn von irgendwoher. Sie musste eine Freundin von Natalia sein.
„Linda.“ Leonard erinnerte sich an das Geständnis seiner Tochter, als er sie das erste Mal getroffen hatte. Natalia hatte ihm erzählt, dass ein Mädchen namens Linda schwanger sei und sie ignorieren würde. Er neigte seinen Kopf zur Seite. „Bist du immer noch mit Natalia befreundet?“
Linda nahm überrascht den Kopf zurück und verfiel in eine Abwehrhaltung. „Sie sind in unsere Schule gekommen, um mich zu fragen, ob ich noch mit Natalia befreundet bin?“
„Nein, nein, nein. Ich bin gekommen, um Natalia abzuholen. Es ist nur so, dass sie gesagt hat, dass—“ Leonard hielt sich zurück. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, dieses Mädchen zurechtzuweisen.
Linda presste die Lippen zusammen. „Was hat sie gesagt? Ich meine…“ Sie verstummte und der Ton in ihrer Stimme verriet, dass sie genau wusste, wovon er redete, aber nicht weiter darauf eingehen wollte. Nicht mit ihm. Nicht in diesem Moment.
„Wie dem auch sei, nicht so wichtig“, tat Leonard die Angelegenheit ab. „Natalia wollte sich mit mir während ihrer Mittagspause am Haupteingang treffen. Ich bin mir sicher, dass sie hier am Büro meinte.“
„Sie haben sie verpasst.“
Leonards Herz fing an, schneller zu schlagen. „Was meinst du damit, ich habe sie verpasst?“
„Sie ist schon weg. Seit zwanzig, vielleicht dreißig Minuten.“
Leonard stammelte: „Wie… wie kann das
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