Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
auf null dekrementieren

1
    Startschuss
    In Neu-Delhi setzten sie auf Turner einen Killerhund an, der auf seine Pheromone und seine Haarfarbe programmiert war. Der Hund fand ihn in einer Straße, die Chandni Chauk hieß, und kam durch einen Wald nackter brauner Beine und Rikscharäder auf seinen gemieteten BMW zugeschossen. Sein Kern bestand aus einem Kilo rekristallisiertem Hexogen und TNT in Flockenform.
    Turner sah ihn nicht kommen. Das Letzte, was er von Indien sah, war die rosa Stuckfassade des Khush-Oil-Hotels.
    Da er einen guten Agenten hatte, hatte er einen guten Vertrag. Da er einen guten Vertrag hatte, war er eine Stunde nach der Explosion in Singapur. Zum größten Teil zumindest. Der holländische Chirurg witzelte, ein gewisser Prozentsatz von Turner sei beim ersten Flug vom Palam International nicht mehr mitgekommen und habe die Nacht dort in einem Schuppen in Nährlösung verbringen müssen.
    Der Holländer und sein Team brauchten drei Monate, um Turner wieder zusammenzustoppeln. Sie klonten ihm einen Quadratmeter Haut, die sie mit Hilfe von Collagenplättchen und Haiknorpel-Polisacchariden heranzüchteten. Augen und Genitalien kauften sie auf dem freien Markt. Die Augen waren grün.
    Einen Großteil der drei Monate verbrachte er in der ROMGENERIERTEN Simstim-Konstruktion einer Bilderbuchkindheit im Neuengland des vorigen Jahrhunderts. Die Visiten des Holländers waren graue Morgenträume, Alpträume, die verblassten,
wenn der Himmel über seinem Zimmer im zweiten Stock hell wurde. Nachts konnte man den Flieder riechen. Turner las im Schein einer 60-Watt-Birne unter einem mit Klipperschiffen bedruckten Pergamentschirm Conan Doyle. Er masturbierte in die frisch duftende Bettwäsche und dachte dabei an Cheerleader. Der Holländer öffnete eine Tür in sein Hinterhirn und spazierte hinein, um Fragen zu stellen, aber am Morgen rief ihn seine Mutter zu Cornflakes, Rühreiern mit Schinken und Kaffee mit Milch und Zucker herunter.
    Und eines Morgens erwachte er in einem fremden Bett. Der Holländer stand an einem Fenster mit tropischem Grün davor; das hereinfallende Sonnenlicht tat seinen Augen weh. »Sie können nach Hause, Turner. Wir sind fertig mit Ihnen. Sie sind so gut wie neu.«
     
    Er war so gut wie neu. Wie gut war das? Er hatte keine Ahnung. Er nahm die Sachen, die der Holländer ihm gab, und floh per Flugzeug aus Singapur. Sein Zuhause war das nächste Flughafen-Hyatt.
    Und das nächste. Und so fort.
    Er flog weiter. Sein Kreditchip war ein spiegelndes schwarzes Rechteck mit Goldrand. Die Leute hinter den Schaltern lächelten und nickten, wenn sie den Kreditchip sahen. Türen öffneten sich für Turner und schlossen sich wieder hinter ihm. Räder hoben vom Stahlbeton ab, Drinks wurden gebracht, das Abendessen wurde serviert.
    In Heathrow löste sich ein großer Brocken Erinnerung aus der leeren Himmelskuppel über dem Flughafen und stürzte auf ihn herab.
    Er kotzte im Gehen in einen blauen Plastikbehälter. Als er den Schalter am Ende des Korridors erreichte, änderte er sein Ticket um.
    Er flog nach Mexiko.

    Und erwachte vom Scheppern von Blechkübeln auf Fliesen, dem feuchten Witschern von Schrubbern und der Wärme eines weiblichen Körpers an seiner Haut.
    Der Raum war eine hohe Höhle. Kahler, weißer Putz warf jeden Laut überdeutlich zurück; durch das Geklapper der Hausmädchen im morgendlichen Innenhof drang von irgendwoher das Rauschen von Brandung. Die Bettwäsche, an der er sich festklammerte, war aus grobem, vom häufigen Waschen weichem Batist.
    Turner erinnerte sich ans Sonnenlicht in einer riesigen, getönten Scheibe. Eine Flughafenbar, Puerta Vallarta. Er hatte vom Flugzeug aus zwanzig Meter gehen müssen und dabei die Augen vor der Sonne zusammengekniffen. Er erinnerte sich an eine tote Fledermaus, die plattgedrückt wie ein dürres Blatt auf dem Rollfeldbeton gelegen hatte.
    Er erinnerte sich an eine Busfahrt, eine Bergstrecke, den Auspuffgestank, die postkartengroßen Heiligenhologramme in Blau und Pink um die Windschutzscheibe herum. Sein Interesse hatte nicht der bergigen Landschaft gegolten, sondern einer Kugel aus pinkfarbenem Acrylharz, in der Quecksilber schwabbelte. Sie krönte den krummen Schaltknüppel, war etwas größer als ein Baseball und umschloss eine zusammengekauerte, aus klarem Glas geblasene Spinne, die halb mit Quecksilber gefüllt war. Das Quecksilber hopste und kullerte, wenn der Fahrer den Bus durch Serpentinen jagte, und schwappte und zitterte auf den

Weitere Kostenlose Bücher