Neuromancer-Trilogie
geraden Strecken. Der Knauf war lächerlich, handgemacht, unheilvoll; er hatte den Zweck, Turner wieder in Mexiko willkommen zu hießen.
Unter dem runden Dutzend Mikrosofts, die der Holländer ihm gegeben hatte, war eins, mit dessen Hilfe er halbwegs fließend Spanisch sprechen konnte, aber in Vallarta hatte er hinterm linken Ohr herumgefummelt und stattdessen einen Staubschutz eingesetzt, der Buchse und Stecker unter einem
rechteckigen, hautfarbenen Mikropor-Pflaster verbarg. Ein Fahrgast ziemlich weit hinten im Bus hatte ein Radio. Der Sprecher unterbrach die blecherne Popmusik in regelmäßigen Abständen mit einer Litanei zehnstelliger Ziffern, den Gewinnzahlen des Tages in der Staatslotterie.
Die Frau neben ihm bewegte sich im Schlaf.
Er stützte sich auf den Ellbogen und sah sie an. Ein fremdes Gesicht, das jedoch keineswegs den Erwartungen entsprach, die aus seinem Leben in Hotels resultierten. Er hätte die übliche Schönheit erwartet, ein Produkt aus billiger Wahlchirurgie und dem gnadenlosen Darwinismus der Moden, einen archetypischen Extrakt aus den wichtigsten Mediengesichtern der letzten fünf Jahre.
Ein Zug Mittelwesten im Kinn, archaisch und amerikanisch. Die blaue Bettdecke war über die Hüften hochgerutscht; die Sonne, die durch die Holzjalousien hereinfiel, zauberte ein goldenes Streifenmuster auf ihre langen Oberschenkel. Die Gesichter, neben denen er in den Hotels der Welt erwachte, sahen aus wie Gottes ureigenste Kühlerhaubenbemalungen. Schlafende Frauengesichter, identisch und einsam, nackt, ins Nichts gerichtet. Dieses Gesicht jedoch war anders. Irgendwie hatte es bereits eine Bedeutung. Eine Bedeutung und einen Namen.
Er setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Die Fußsohlen registrierten körnigen Strandsand auf den kühlen Fliesen. Es roch schwach nach den allgegenwärtigen Insektiziden. Nackt und mit schmerzendem Schädel stand er auf. Er setzte seine Beine in Gang. Ging durchs Zimmer, probierte die erste der zwei Türen, sah weiße Kacheln und noch mehr weißen Putz, einen klobigen, verchromten Duschkopf an einem rostfleckigen Eisenrohr. Aus den beiden Hähnen am Waschbecken kam das gleiche blutwarme Rinnsal. Eine Uralt-Armbanduhr lag neben einem Plastikbecher, eine mechanische Rolex
mit hellem Lederband. Die Fensterläden im Bad waren geschlossen, und die Fenster hatten keine Scheiben, sondern ein feines grünes Plastikgitter. Turner lugte durch die Hartholzstäbe hinaus, zuckte angesichts der heißen, grellen Sonne zusammen und sah einen ausgetrockneten Brunnen mit geblümten Kacheln und das rostige Wrack eines VW Golf.
Allison. So hieß sie.
Sie trug ausgefranste Khakishorts und eins seiner weißen T-Shirts. Ihre Beine waren sehr braun. Die mechanische Rolex mit dem matten rostfreien Stahlgehäuse und dem Schweinslederband saß an ihrem linken Handgelenk. Sie gingen am Strand spazieren, folgten dem Verlauf der Bucht Richtung Barre de Navidad. Sie blieben auf dem schmalen Streifen oberhalb der Wasserlinie, wo der Sand nass und fest war.
Schon hatten sie eine gemeinsame Geschichte; er erinnerte sich, wie sie an jenem Morgen an einem Stand unter dem Eisendach des Mercado der kleinen Stadt einen großen Tonbecher Filterkaffee in beiden Händen gehalten hatte. Mit seiner Tortilla Eier und Salsa von dem gesprungenen weißen Teller auftunkend, hatte er den Fliegen bei ihrem Tanz um die dünnen Sonnenstrahlen zugeschaut, die durch ein Patchwork aus Palmblättern und Wellblechwänden hereinfielen. Sie hatte von ihrem Job in einer Anwaltskanzlei in Los Angeles und ihrem Single-Leben in einer der klapprigen Pontonstädte vor Redondo erzählt. Er hatte ihr erklärt, dass er im Personalsektor arbeitete. Bisher jedenfalls. »Vielleicht seh ich mich mal nach’nem neuen Job um …«
Aber das Reden schien bei dem, was zwischen ihnen war, keine so große Rolle zu spielen, und jetzt stand ein Fregattvogel über ihnen, kreuzte gegen den Wind, glitt zur Seite, drehte ab und war weg. Seine Freiheit, sein unbekümmertes Dahingleiten ließen sie beide erschauern. Sie drückte Turners Hand.
Eine blaue Gestalt kam am Strand auf sie zugestapft, ein Militärpolizist auf dem Weg in die Stadt. Die blitzblank polierten schwarzen Stiefel wirkten irreal auf dem weichen, hellen Strand. Als der Mann vorbeiging – das Gesicht hinter der verspiegelten Brille dunkel und starr -, bemerkte Turner den Steiner-Optic-Laser im Karabinerformat mit Fabrique-Nationale-Visier. Die blaue Uniform war
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