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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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richtete ihn direkt auf Conroys Gesicht. »Bei so’ner Knarre kann man manchmal durch den Lauf schauen, wenn das Licht günstig ist, und erkennen, ob’ne Kugel drinsteckt.«
    Conroy schüttelte kaum merklich den Kopf.
    »Oder man sieht sie vielleicht in einer der übrigen Kammern …«
    »Nein«, sagte Conroy sehr leise. »Ausgeschlossen.«

    »Vielleicht haben die Ballonflicker Murks gebaut, Conroy. Was meinst du?«
    »Nein«, sagte Conroy mit ausdruckslosem Gesicht. »Haben sie nicht, und du wirst es auch nicht tun.«
    Turner drückte ab. Der Hahn traf auf eine leere Kammer. Conroy blinzelte einmal, öffnete den Mund, schloss ihn wieder und sah zu, wie Turner die Smith & Wesson senkte. Ein einzelner Schweißtropfen perlte von Conroys Haaransatz und verschwand in einer Augenbraue.
    »Und?« Turner ließ die Kanone hängen.
    Conroy zuckte mit den Achseln. »Lass den Scheiß.«
    »Brauchen die mich so dringend?«
    Conroy nickte. »Es ist deine Show, Turner.«
    »Wo ist Mitchell?« Turner klappte die Trommel wieder auf und lud die übrigen fünf Kammern.
    »In Arizona. Rund fünfzig Kilometer von der Grenze nach Sonora, in einer Forschungsarcologie in einem Tafelberg. Maas Biolabs North America. Denen gehört alles da in der Gegend, bis runter zur Grenze, und der Tafelberg liegt im Bereich von vier Aufklärungssatelliten. Mucho dicht, der Laden.«
    »Und wie sollen wir da reinkommen?«
    »Gar nicht. Mitchell kommt raus, von selber. Wir warten auf ihn, lesen ihn auf und schaffen ihn unversehrt zu Hosaka.« Conroy fuhr mit dem angewinkelten Zeigefinger unter den offenen Kragen seines schwarzen Hemdes und förderte eine schwarze Nylonkordel zutage, an der ein schwarzer Nylonbeutel mit Klettverschluss hing. Er öffnete ihn vorsichtig und entnahm ihm einen Gegenstand, den er Turner auf dem Handteller hinhielt. »Hier. Das hat er geschickt.«
    Turner legte die Knarre auf den nächsten Tisch und nahm das Ding von Conroy entgegen. Es glich einem zu dick geratenen Mikrosoft; an einem Ende saß der übliche Neurokontakt,
am anderen ein seltsames rundes Gebilde, wie er es noch nie gesehen hatte. »Was ist das?«
    »Ein Biosoft. Jaylene hat sich’s reingetan und sagt, ihr kam’s vor wie der Output einer KI. Ist eine Art Dossier über Mitchell mit einer Nachricht für Hosaka hintendran. Zieh’s dir am besten mal selber rein, du solltest baldmöglichst im Bilde sein …«
    Turner blickte von dem grauen Ding auf. »Wie ist es für Jaylene gewesen?«
    »Sie sagt, du solltest dich dabei lieber hinlegen. Ihr schien’s nicht so gut gefallen zu haben.«
     
    Maschinenträume verursachen ein spezielles Schwindelgefühl. Turner legte sich im provisorischen Schlafraum auf eine jungfräuliche Matratze aus grünem Temperschaum und steckte sich Mitchells Dossier rein. Es ging langsam los; er hatte noch Zeit, die Augen zu schließen.
    Zehn Sekunden später waren seine Augen wieder offen. Er krallte sich an dem grünen Schaumstoff fest und kämpfte gegen den Brechreiz an. Dann schloss er von neuem die Augen. Wieder ging es langsam los; ein flackernder, nichtlinearer Schwall von Informationen und Sinneseindrücken, eine Art Geschichte, die in surrealen, sprunghaften Schnitten und Parallelmontagen erzählt wurde. Es ließ sich entfernt mit der Fahrt in einer Achterbahn vergleichen, die in willkürlichen, unglaublich schnellen Intervallen ins Dasein trat und wieder verschwand, wobei Höhe, Schwung und Richtung bei jedem Übertritt aus dem Nichts wechselten, nur dass diese Wechsel nichts mit einer physischen Orientierung zu tun hatten, sondern eher mit blitzschnellen Änderungen im Paradigmenund Symbolsystem. Die Daten waren nicht für den menschlichen Gebrauch gedacht.
    Mit offenen Augen riss er das Ding aus der Buchse und hielt es in der schweißnassen Hand. Es war, als würde er aus einem
Alptraum erwachen. Nicht aus einer Horrorvision, in der gestaute Ängste simple, schreckliche Gestalten annahmen, sondern aus einem ungleich verstörenderen Traum, in dem alles absolut und grauenhaft normal und dennoch ganz und gar falsch war.
    Die Intimität des Dings war tückisch. Er kämpfte Wogen ungefilterter Übertragung nieder und musste seine gesamte Willenskraft aufbieten, um ein Gefühl zu überwinden, das mit Liebe verwandt war: die zwanghafte Zuneigung, die ein Beobachter für die Person entwickelt, die er längere Zeit überwacht. Tage oder Stunden später, das wusste er, würden ihm die kleinsten Einzelheiten aus Mitchells akademischem

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