Neuromancer-Trilogie
bunten, orangeblauen Flügeln und der bebrillten Gestalt, die in dem offenen Metallrahmen über dem fragilen dreirädrigen Fahrwerk kauerte.
Mitchell.
Das Gelände unter den schwebenden Leuchtkugeln war hell wie ein Footballfeld. Der Ultralight legte sich in die Kurve und wendete mit einer solch trägen Eleganz, dass Turner am liebsten losgebrüllt hätte. Leuchtspurgeschosse spritzten in gleißendem Bogen von einer Stelle außerhalb der Basis in die Höhe und zogen einen Strich über den Himmel. Daneben.
Bring das Ding runter! Bring es runter! Er rannte, sprang über Sträucher, zerkratzte sich die Knöchel, blieb mit dem Parkasaum hängen.
Die Leuchtkugeln. Das Licht. Mitchell konnte mit der Brille nichts mehr anfangen, konnte den Infrarotschein der Handwärmer nicht mehr sehen. Er kam weit abseits vom Landestreifen herein. Das Vorderrad verfing sich irgendwo, und der Ultralight überschlug sich, ging zu Bruch und blieb wie ein zerfetzter Schmetterling in seiner eigenen weißen Staubwolke liegen.
Der Lichtblitz der Explosion schien Turner einen Moment vor dem Knall zu erreichen; er warf seinen Schatten auf die fahlen Büsche vor ihm. Die Druckwelle erfasste ihn und stieß ihn um, und im Fallen sah er das geborstene Ambulanzmodul in einem gelben Feuerball und wusste, dass Webber ihre Panzerabwehrrakete eingesetzt hatte. Dann war er wieder auf den Beinen und lief los, die Knarre in der Hand.
Er erreichte das Wrack von Mitchells Ultralight, als die erste Leuchtkugel erlosch. Schon stieg die nächste im Bogen aus
dem Nichts in die Höhe und erblühte über ihm. Das Krachen der Schüsse riss nicht mehr ab. Turner kletterte über ein verbogenes, rostiges Blech und fand den Piloten. Er lag auf dem Boden; Kopf und Gesicht waren unter einem behelfsmäßigen Helm und einer klobigen Infrarotbrille verborgen, die Brille war mit silbergrauem Klebeband am Helm befestigt. Die verdrehten Gliedmaßen waren in mehrere Schichten schwarzer Kleidung verpackt. Turner sah seine Hände an dem Klebeband zerren und an der Infrarotbrille reißen. Seine Hände waren ferne Wesen, bleiche Meeresgeschöpfe, die tief unten am Grunde eines unvorstellbaren pazifischen Grabens ihr eigenes Leben führten. Er sah zu, wie sie verzweifelt an Klebeband, Brille und Helm zerrten, bis all das sich löste und das lange, schweißnasse braune Haar über das weiße Gesicht des Mädchens fiel und das dunkle Blut verschmierte, das in einem dünnen Rinnsal aus einem Nasenloch lief. Und die Augen öffneten sich und zeigten leeres Weiß. Er zog das Mädchen irgendwie hoch, wuchtete es sich wie ein Feuerwehrmann über die Schulter und torkelte in die Richtung, wo er den Jet zu finden hoffte.
Er spürte die zweite Explosion durch die Sohlen seiner Segeltuchschuhe und sah das debile Grinsen auf dem Plastiksprengstoffklumpen, der an Ramirez’ Cyberspace-Deck klebte. Es gab keinen Lichtblitz, sondern nur einen Knall und eine Erschütterung, die sich auf der Betonfläche des Parkplatzes fortsetzte.
Und dann war er im Cockpit, atmete den Neues-Auto-Geruch langkettiger Monomere, den vertrauten Duft fabrikneuer Technik, und das Mädchen war hinter ihm, eine Puppe, die unbeholfen in dem g-Netz hing, das Conroy von einem Waffenhändler aus San Diego hinterm Pilotennetz hatte installieren lassen. Das Flugzeug bebte wie ein Lebewesen, und während er sich tiefer in sein g-Netz hineinzwängte, tastete er nach dem Interface-Kabel, fand es, riss sich das Mikrosoft aus der Buchse und steckte das Kabel hinein.
Wissen erhellte ihn wie ein Videospiel, und der Flugzeugcharakter des Jets riss ihn mit sich, während der flexible Rumpf sich zum Senkrechtstart umformte und die automatische Kabinenhaube mit ihren Servomotoren surrend zuglitt. Das g-Netz blähte sich um ihn herum auf, bis er keinen Finger mehr rühren konnte; er hatte immer noch die Kanone in der Hand. »Los, du Scheißding!« Aber der Jet wusste bereits Bescheid, und die g-Kraft presste ihn ins Dunkel hinunter.
»Sie haben das Bewusstsein verloren«, sagte das Flugzeug.
Seine Chip-Stimme hatte eine vage Ähnlichkeit mit der von Conroy.
»Wie lange?«
»Achtunddreißig Sekunden.«
»Wo sind wir?«
»Über Nagos.« Das Head-up-Display ging an und zeigte ein Dutzend sich ständig verändernde Zahlenwerte über einer stilisierten Karte der Grenze zwischen Arizona und Sonora.
Der Himmel wurde weiß.
»Was war das?«
Stille.
»Was war das?«
»Die Sensoren melden eine Explosion«, sagte das Flugzeug.
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