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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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sogenannten Massenmenschen. Schublade auf und rein damit. Der Massenmensch. Mit den Schubladen hat er’s, mit gutem Stil weniger.« Sie drehte die Hähne auf, und Wasser zischte durch den Filter heraus.
    »Und was sagt er nun über Virek?«
    »Er sagt, falls ich mich recht entsinne, und da bin ich mir gar nicht so sicher, dass Virek ein Glücksfall ist, und zwar ein noch größerer als die Industrie-Clans im Orbit. Die Clans sind generationsübergreifend, und es wird viel medizinischer Aufwand getrieben: Kälteschlaftechnik, Genmanipulation, diverse Methoden, den Alterungsprozess zu bekämpfen. Der Tod eines bestimmten Familienmitglieds, selbst der eines Gründervaters, stürzt den Clan als Geschäftsunternehmen normalerweise nicht in eine Krise. Es ist immer jemand da, der darauf wartet, den Platz des Verstorbenen einzunehmen. Der Unterschied zwischen einem Clan und einem Konzern liegt jedoch darin, dass man in einen Konzern nicht buchstäblich einheiraten muss …«
    »Aber man muss sich per Vertrag langfristig binden …«
    Andrea zuckte mit den Achseln. »Eine Art Pachtvertrag, und das ist was ganz anderes. Es dient eigentlich der Arbeitsplatzsicherung. Aber wenn dein Herr Virek schließlich stirbt, wenn ihnen der Platz zur Erweiterung seiner lebenserhaltenden Systeme ausgeht oder so, dann fehlt seinem Unternehmen der logische Brennpunkt. Wenn es dazu kommt, so meint unser Mann aus Nizza, wird sich zeigen, dass Virek & Co. entweder
zerbricht oder mutiert, wobei uns Letzteres die Firma Soundso bescheren würde, einen echten Multi, also eine weitere Heimstatt für den Schubladen-Massenmenschen.« Sie wischte ihren Teller blank, spülte ihn, trocknete ihn ab und stellte ihn ins Kieferregal neben der Spüle. »Er sagt, das sei in gewissem Sinn schade, weil es bloß noch wenige Menschen gibt, die den Rand auch nur sehen können.«
    »Den Rand?«
    »Den Rand der Masse. Wir stecken hoffnungslos mitten drin, du und ich. Zumindest ich.« Andrea durchquerte die Küche und legte Marly die Hände auf die Schultern. »Pass bei dieser Sache bloß auf. Einerseits geht’s dir wieder viel besser, aber mir ist jetzt klar, dass das auch mein Werk sein kann, weil ich für dich ein kleines Essen mit diesem Schwein von deinem Ex-Lover arrangiert habe. Was den Rest betrifft, so bin ich mir nicht sicher … Ich glaube, die Theorie unseres Akademikers wird durch die offenkundige Tatsache entkräftet, dass Virek und Konsorten längst keine Menschen mehr sind. Bitte sei vorsichtig.« Dann küßte sie Marly auf die Wange und machte sich auf den Weg zu ihrer Arbeit als Lektorin im modisch-altmodischen Geschäft des Buchdrucks.
     
    Marly verbrachte den Vormittag in Andreas Wohnung und schaute sich mit dem Braun die Hologramme der sieben Werke an. Obwohl jedes Stück auf seine Art außergewöhnlich war, kehrte sie immer wieder zu dem Kasten zurück, den Virek ihr als ersten gezeigt hatte. Wenn ich das Original hier hätte, dachte sie, und erst das Glas und dann nacheinander alle Objekte dahinter herausnähme, was bliebe dann übrig? Plunder, ein räumlicher Rahmen, vielleicht ein Geruch wie von Staub.
    Sie lag ausgestreckt auf der Couch, hatte den Braun auf dem Bauch und starrte in den Kasten. Es tat weh. Ihr war, als würde das Gebilde etwas ganz ausgeprägt in ihr wachrufen, aber sie
fand keinen Namen für das Gefühl. Sie strich mit den Händen durch die leuchtende Illusion, fuhr an dem gerillten Knochen entlang. Virek hatte mit Sicherheit schon einen Ornithologen beauftragt, den Vogel zu bestimmen, von dessen Flügel dieser Knochen stammte. Außerdem wäre es wohl möglich, das Alter eines jeden Objekts mit größter Präzision zu bestimmen. Jedes Holofiche enthielt zudem einen ausführlichen Bericht über die Entstehung des jeweiligen Werks, aber irgendwie hatte sie diese Berichte bewusst gemieden. Es war manchmal besser, dem Rätsel der Kunst wie ein Kind zu begegnen. Das Kind sah Dinge, die für das geübte Auge zu offensichtlich, zu selbstverständlich waren.
    Sie stellte den Braun auf den niedrigen Tisch vor der Couch und ging zu Andreas Telefon, um die genaue Zeit zu erfahren. Um eins war sie mit Paco verabredet, um den Ablauf der Geldübergabe an Alain zu besprechen. Alain hatte ihr gesagt, er werde sie um drei bei Andrea anrufen. Als sie die Nummer der Zeitansage eintippte, flimmerte automatisch eine kurze Zusammenfassung der Satellitenmeldungen über den Bildschirm: Ein JAL-Shuttle war beim Wiedereintritt über dem Indischen

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