Neuromancer-Trilogie
goldbehangenen Filzhuts, ein orangenes Seidenkopftuch im Nacken verknotet.
»Du passt jetzt auf unsern jungen Freund auf«, sagte Lucas und deutete mit dem Knauf seines Stocks auf sie. »Er hat seine Feinde, unser Count.«
»Wer hat die nicht?«, fragte Jackie.
»Ich kann selber auf mich aufpassen.« Es störte Bobby, dass Lucas Jackie mehr zutraute als ihm; gleichzeitig wusste er, dass sie ihm fast mit Sicherheit überlegen war.
»Tu das«, sagte Lucas. Der Stock schwang herum, bis er auf gleicher Höhe mit Bobbys Augen war. »Sprawltown hat’s in sich, mein Freund. Die Dinge sind selten, was sie scheinen.« Um zu verdeutlichen, was er meinte, stellte er irgendwas mit seinem Stock an, so dass die langen Messingzungen unterm Knauf sich einen Moment lang geschmeidig abspreizten, leise aufgingen wie Regenschirmspeichen; jede Zunge blitzte messerscharf und nadelspitz. Dann klappten sie wieder ein, und Ahmeds breite Tür schloss sich mit dem satten, dumpfen Geräusch von gepanzertem Stahl.
Jackie lachte. »Scheiße. Lucas schleppt den Killerstock immer noch mit sich rum. Er ist jetzt’n Staranwalt, aber die Straße hinterlässt nun mal ihre Spuren. Ist wohl auch gut so …«
»Anwalt?«
Sie sah ihn an. »Ist nicht so wichtig, Süßer. Komm einfach mit und tu, was ich sage, dann passiert dir schon nichts.«
Ahmed fädelte sich in den spärlichen Verkehr ein. Ein Radrikscha-Kuli quäkte der davonrauschenden Messingstoßstange vergebens mit einer Ballonhupe nach.
Sie legte ihm eine gepflegte, goldberingte Hand auf die Schulter und führte ihn an einem Haufen schlafender, zerlumpter Stadtstreicher vorbei über den Bürgersteig in die allmählich erwachende Welt des Hypermarkts.
Vierzehn Stockwerke, sagte Jackie, und Bobby stieß einen Pfiff aus. »Alle so wie das hier?« Sie nickte und löffelte braunen Kandiszucker in den braunen Schaum auf ihrem Kaffeeglas. Sie saßen auf verschnörkelten Gusseisenstühlen am Marmortresen einer kleinen Espresso-Bar, in der ein Mädchen in Bobbys Alter, das sich die Haare mit Tönung und Haarlack zu einer Art Rückenflosse modelliert hatte, an den Knöpfen und Hebeln einer großen alten Maschine mit Messingtanks, Hauben, Brennern und Adlern mit ausgebreiteten Chromschwingen hantierte. Die Tresenplatte hatte einmal einem anderen Zweck gedient; Bobby sah, dass ein Ende zu einem langen, krummen Zinken behauen war, damit die Platte zwischen zwei grünlackierte Stahlsäulen passte.
»Gefällt dir, hm?« Sie streute Zimt aus einem schweren, alten Glasstreuer auf den Schaum. »So weit biste wohl noch nie aus Barrytown rausgekommen.«
Bobby nickte, verwirrt von den tausend Farben und Texturen der Waren in den Ständen und von den Ständen selber. Alles wirkte völlig uneinheitlich, wie ohne jedes ordnende System. Krumme Gänge gingen von dem Platz vor der Espresso-Bar ab und schlängelten sich irgendwohin. Eine zentrale Lichtquelle schien es ebenfalls nicht zu geben. Rotes und blaues Neon strahlte hinter dem gleitenden Zischen einer Primus-Lampe,
und ein Stand, der gerade von einem bärtigen Mann in Lederhose aufgemacht wurde, schien mit Kerzen beleuchtet zu werden, deren weiches Licht sich hundertfach in polierten Messingschnallen vor dem Rot und Schwarz alter Teppiche spiegelte. Überall ertönte morgendliches Geklapper, Gehuste und Geräusper. Ein blauer Toshiba-Hausdiener rollte surrend aus einem Gang heran und schleppte einen verschrammten Plastikkarren voller grüner Plastiksäcke mit Müll hinter sich her. Auf den Oberkörper des Toshiba hatte jemand einen großen Puppenkopf aus Plastik geklebt, oberhalb der Batterie von Kameras und Sensoren, ein lächelndes, blauäugiges Gesicht, das dem Aussehen eines führenden Simstim-Stars nachempfunden war, ohne allerdings ein Sense/Net-Copyright zu verletzen. Der pinkfarbene Kopf mit dem platinblonden Haar, das mit einer himmelblauen Perlenschnur zum Pferdeschwanz gebunden war, wippte absurd, als der Roboter vorbeirollte. Bobby lachte.
»Ganz nett hier, ja«, sagte er und gab dem Mädchen ein Zeichen, die Tasse nachzufüllen.
»Moment, du Arsch«, sagte das Mädchen hinter dem Tresen durchaus freundlich. Sie füllte gerade gemahlenen Kaffee in die verbeulte Schale am einen Ende einer antiken Balkenwaage. »Gestern Nacht noch’ne Mütze Schlaf gekriegt nach der Show, Jackie?«
»Na klar.« Jackie nippte an ihrem Kaffee. »Hab im zweiten Set abgetanzt und mich dann im Jammer’s aufs Ohr gehauen. Hab mich auf die Couch da
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