Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
ein Zug eine Säule abgestandener Luft durch einen Tunnel. Der Zug selbst glitt auf seinem Induktionspolster lautlos dahin, aber die verdrängte Luft brachte den Tunnel mit unhörbaren Unterschallfrequenzen zum Dröhnen. Die Erschütterung
erreichte den Raum, in dem er lag, und wirbelte Staub aus den Fugen des ausgetrockneten Parkettbodens auf.
    Als er die Augen aufschlug, sah er Molly, die nackt und knapp außer Reichweite auf nagelneuem, pinkfarbenem Temperschaum lag. Von oben fiel Sonnenlicht durch das rußige Gitter einer Dachluke. Ein halber Quadratmeter Glas war durch eine Spanplatte ersetzt worden, aus der ein dickes, graues Kabel hing, das bis wenige Zentimeter über dem Boden herabbaumelte. Er lag auf der Seite und sah Molly beim Atmen zu, betrachtete ihre Brüste und den Schwung ihrer Flanke, die sich mit der funktionellen Eleganz eines Kampfflugzeugrumpfs gegen den Hintergrund abzeichnete. Sie hatte einen schmalen, schönen Körper und die Muskeln einer Ballerina.
    Case setzte sich auf. Der Raum war groß und leer, bis auf die breite, pinkfarbene Matratze und zwei neue, identische Nylontaschen, die daneben standen. Kahle Wände, keine Fenster, eine weißgestrichene, feuerfeste Stahltür. Die Wände waren mit unzähligen Schichten weißer Latexfarbe überkrustet. Ein Fabrikraum. Er kannte diese Räume, diese Gebäude; ihre Bewohner bewegten sich in der Grauzone, in der Kunst fast schon Verbrechen und Verbrechen fast schon Kunst war.
    Er war daheim.
    Er schwang die Füße auf den Boden, der aus kleinen Holzplättchen bestand; einige waren locker, andere fehlten ganz. Sein Kopf schmerzte. Er erinnerte sich an Amsterdam, an ein anderes Zimmer in der Altstadt mit ihren jahrhundertealten Häusern. Molly mit Orangensaft und Eiern, zurück von der Gracht. Armitage auf einem geheimnisvollen Raubzug; er und Molly am Dam auf dem Weg zu einer Bar an der Damrak, die sie kannte. Paris ein verschwommener Traum. Shopping. Sie war mit ihm shoppen gegangen.

    Er stand auf, zog eine zerknitterte neue schwarze Jeans an, die zu seinen Füßen lag, und kniete sich neben die Taschen. Die erste, die er öffnete, gehörte Molly: sorgsam zusammengelegte Kleidung und kleine, teuer aussehende Apparätchen. Die zweite war vollgestopft mit Dingen, an deren Kauf er sich nicht erinnern konnte: Bücher, Tapes, ein Simstim-Deck, Kleidung mit französischen und italienischen Etiketten. Unter einem grünen T-Shirt entdeckte er ein flaches Päckchen in einer Origamiverpackung aus kunstvoll gefaltetem japanischem Recyclingpapier.
    Das Papier zerriss, als er das Päckchen aufhob; ein glänzender Stern mit neun Spitzen fiel heraus und blieb aufrecht in einer Fuge des Parketts stecken.
    »’n Souvenir«, sagte Molly. »Ich hab gesehen, dass du sie dir immer angeguckt hast.«
    Er drehte sich um und sah sie im Schneidersitz auf dem Bett sitzen. Schläfrig kratzte sie sich mit den burgunderroten Nägeln den Bauch.
     
    »Später kommt jemand, um den Raum zu sichern«, sagte Armitage. Er stand in der offenen Tür und hielt einen altmodischen Magnetschlüssel in der Hand. Molly machte auf einem kleinen, deutschen Kocher, den sie aus ihrer Tasche geholt hatte, Kaffeewasser heiß.
    »Kann ich auch«, erwiderte sie. »Hab genug Sachen hier. Infrarotdetektor, Geräuschmelder …«
    »Nein«, sagte er, während er die Tür schloss. »Ich will ganz sichergehen.«
    »Wie Sie meinen.« Sie trug ein schwarzes Netz-T-Shirt, das in einer weiten schwarzen Baumwollhose steckte.
    »Mal Bulle gewesen, Mr. Armitage?«, fragte Case, der an der Wand lehnte.
    Armitage war nicht größer als Case, schien jedoch mit seinen breiten Schultern und seiner militärischen Haltung die
ganze Tür auszufüllen. Er trug einen dunklen italienischen Anzug; in der Rechten hielt er eine Aktentasche aus weichem, schwarzem Kalbsleder. Der Ohrring der Special Forces war weg. Das hübsche, ausdruckslose Gesicht zeigte die übliche Schönheit der Kosmetik-Boutiquen, ein konservatives Amalgam der führenden Mediengestalten des letzten Jahrzehnts. Der helle Glanz seiner Augen verstärkte die maskenhafte Wirkung. Case bereute schon, dass er gefragt hatte.
    »Na ja, viele von den Forces sind bei den Cops gelandet. Oder bei’nem Wachdienst«, fügte er nervös hinzu. Molly reichte ihm eine dampfende Kaffeetasse. »Die Nummer, die Sie mit meiner Bauchspeicheldrüse abgezogen haben, das war typisch Cops.«
    Armitage zog die Tür ganz zu, durchquerte den Raum und blieb vor Case stehen. »Du bist

Weitere Kostenlose Bücher