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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Spaziergang.« Während Kumiko sie mit großen Augen ansah, hob sie die Hand und fasste sich an die Brille, als wollte sie sie absetzen. »Ist nur’n Katzensprung zur Portobello Road. Muss frische Luft schnappen.« Die verspiegelten Gläser schienen weder Fassung noch Bügel zu haben.
    »Roger«, sagte Petal, der gerade dabei war, rosa Speckscheiben von einer silbernen Platte auf die Gabel zu spießen, »glauben Sie, Kumiko ist bei unserer Sally gut aufgehoben?«
    »Besser als ich, bei der Laune, die sie hat«, antwortete Swain. »Ich fürchte, wir können dir hier nicht viel Zerstreuung bieten«, wandte er sich an Kumiko, während er sie an den Tisch führte, »aber wir werden unser Bestes tun, damit du dich wohl fühlst, und dafür sorgen, dass du ein bisschen was von der Stadt siehst. Aber das hier ist natürlich nicht Tokio.«
    »Jedenfalls noch nicht«, warf Petal ein, aber Swain schien es nicht zu hören.

    »Danke«, sagte Kumiko, als Swain ihr den Stuhl hielt.
    »Ist mir eine Ehre«, sagte Swain. »Unsere Hochachtung vor deinem Vater …«
    »He«, sagte die Frau, »für den Quatsch ist sie noch zu jung. Verschon uns damit!«
    »Sally hat wirklich großartige Laune, wie du siehst«, sagte Petal und legte Kumiko ein verlorenes Ei auf den Teller.
     
    Sally Shears Laune war kaum verhaltener Zorn, wie sich herausstellte, eine Mordswut, die sich in ihrem Gang ausdrückte; die Hacken ihrer schwarzen Stiefel knallten gereizt aufs eisige Pflaster, wie Schüsse.
    Kumiko musste laufen, um mit der Frau Schritt zu halten, als sie auf der halbmondförmigen Straße davonstolzierte, weg von Swains Haus. Ihre Brille blitzte kalt im diffusen Licht der Wintersonne. Sie trug eine enge, dunkelbraune Wildlederhose und eine unförmige schwarze Jacke mit hochgeschlagenem Kragen; teure Klamotten. Mit ihrem kurzen schwarzen Haar hätte man sie für einen Jungen halten können.
    Zum ersten Mal seit ihrer Abreise aus Tokio hatte Kumiko Angst.
    Die aufgestaute Energie der Frau war beinahe greifbar, ein Knoten des Zorns, der jeden Moment aufgehen konnte.
    Kumiko schob die Hand in die Handtasche und drückte das Maas-Neotek-Gerät. Colin war sofort da und ging flott neben ihr einher, die Hände in die Jackentaschen gesteckt; seine Stiefel hinterließen keine Abdrücke im schmutzigen Schnee. Sie ließ das Gerät wieder los, und er verschwand, aber sie war beruhigt. Sie brauchte keine Angst zu haben, Sally Shears, mit der sie kaum mithalten konnte, zu verlieren; der Geist konnte sie bestimmt wieder zu Swains Haus führen. Und wenn ich ihr weglaufe, dachte sie, wird er mir helfen. An einer Kreuzung schlängelte sich die Frau durch den fließenden Verkehr, zog
Kumiko geistesabwesend vor einem dicken schwarzen Honda-Taxi weg und schaffte es irgendwie auch noch, diesem einen Tritt gegen den Kotflügel zu verpassen, als es vorbeifuhr.
    »Trinkst du?«, fragte sie, während sie Kumiko am Unterarm festhielt.
    Kumiko schüttelte den Kopf. »Bitte, Sie tun mir weh. Mein Arm.«
    Sally lockerte ihren Griff, bugsierte Kumiko jedoch durch eine schmuckvolle Milchglastür in einen warmen, lauten Raum, eine mit dunklem Holz und abgenutztem beigem Velours ausgekleidete Höhle voller Menschen.
    Bald schon saßen sie einander an einem Marmortischchen gegenüber, auf dem ein Bass-Aschenbecher, ein dunkles Ale, das Whiskeyglas, das Sally auf dem Weg vom Tresen hierher geleert hatte, und ein Glas Orangensaft standen.
    Kumiko sah, dass die silbernen Gläser ohne sichtbare Nahtstellen in die blasse Haut übergingen.
    Sally griff nach dem leeren Whiskeyglas, neigte es, ohne es vom Tisch zu heben, und betrachtete es kritisch. »Ich bin deinem Vater mal begegnet«, sagte sie. »Damals war er noch nicht so hoch oben auf der Leiter.« Sie ließ das Glas los und griff nach dem Ale. »Swain sagt, du bist’ne halbe Gaijin . Er sagt, deine Mutter war Dänin.« Sie trank einen Schluck Bier. »Siehst nicht so aus.«
    »Sie hat meine Augen ändern lassen.«
    »Steht dir.«
    »Danke. Ihre Brille ist aber auch sehr hübsch«, sagte Kumiko automatisch.
    Sally zuckte mit den Achseln. »Hat dir dein alter Herr schon mal Chiba gezeigt?«
    Kumiko schüttelte den Kopf.
    »Klug von ihm. Hätt ich an seiner Stelle auch nicht getan.« Sie trank noch mehr Bier. Ihre Nägel, die offenbar aus Acryl
waren, hatten die Farbe und den Glanz von Perlmutt. »Sie haben mir das mit deiner Mutter erzählt.«
    Kumiko wurde rot und senkte den Blick.
    »Deshalb bist du aber nicht hier. Weißt du

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