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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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irgendeines Streichmessers blitzte daneben in der dunklen Lache. Molly ging auf die Knie, wobei sie darauf achtete, sich nicht voller Blut zu machen, und drehte das Gesicht des toten Mädchens zum Licht. Das Gesicht, das Case im Restaurant gesehen hatte.
    Es machte klick, mitten im Kern aller Dinge, und die Welt erstarrte.
    Mollys Simstim-Übertragung wurde angehalten zum Standbild. Ihre Finger verharrten an der Wange des Mädchens. Das Standbild dauerte drei Sekunden, dann wandelte sich das Gesicht, wurde zum Gesicht von Linda Lee.
    Wieder ein Klicken, und das Zimmer wurde verschwommen. Molly
    stand da, blickte auf die goldene Laserplatte neben einer kleinen Console auf der Marmorfläche des Nachttischchens. Ein Lichtleitband lief wie eine Koppelleine von der Console zu einem Kontakt am schlanken Nacken.
    »Kenn die Nummer, Knackarsch«, sagte Case, der spürte, wie sich irgendwo weit entfernt seine Lippen bewegten. Er wußte, daß Wintermute die Übertragung abgeändert hatte. Molly hatte nicht gesehn, wie das Gesicht des toten Mädchens sich in Rauch auflöste und zur Totenmaske von Linda Lee wurde.
    Molly wandte sich ab. Sie ging zu Ashpools Stuhl. Der Mann atmete
    flach und stoßweise. Sie blickte auf das Durcheinander von Drogen und Al—179
    kohol. Sie legte seine Pistole hin, hob ihre Flechette auf, stellte den Lauf auf Einzelschuß ein und setzte sorgsam mitten in das geschlossene linke Augenlid einen Giftpfeil. Der Mann zuckte kurz, seine Atmung versagte mitten im Luftholen. Das andere Auge, braun und unergründlich, ging langsam auf.
    Es war noch offen, als Molly sich abwandte und aus dem Zimmer ging.
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    »Hab deinen Boß dran«, sagte die Flatline. »Über den zweiten Hosaka in dem ändern Schiff droben, das wir huckepack genommen haben. Heißt
    Haniwa.«
    »Weiß ich«, sagte Case. »Hab's gesehn.«
    Eine Raute aus weißem Licht schob sich vor ihn und verbarg das Eis von Tessier-Ashpool; sie zeigte das ruhige, gestochen scharfe, total irre Gesicht von Armitage mit seinen leeren Knopfaugen. Armitage blinzelte.
    Starrte.
    »Schätze, Wintermute kümmerte sich auch um deine Turings, was? Wie
    er sich um meine kümmerte«, sagte Case.
    Armitage starrte. Case widerstand dem plötzlichen Drang, wegzusehen,
    den Blick zu senken. »Du okay, Armitage?«
    »Case« - und einen Moment lang schien sich etwas hinter dem blauen
    Starren zu regen - »du hast Wintermute gesehn, nicht wahr? In der
    Matrix.«
    Case nickte. Eine Kamera an der Frontseite seines Hosaka in der Marcus Garvey würde die Geste auf den Monitor in der Haniwa übertragen. Er stellte sich vor, wie Maelcum, der die Konstruktion und Armitage nicht hören konnte, seinem tranceartigen Gestammel lauschte.
    »Case« - und die Augen wurden größer, als Armitage sich zu seinem
    Computer beugte - »als was siehst du ihn?«
    »Als hochauflösende Simstim-Konstruktion.«
    »Als wen?«
    »Als Finne, 's letzte Mal... Davor als 'nen Zuhälter, den ich...»
    »Nicht als General Girling?«
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    »General wer?«
    Die Raute wurde schwarz.
    »Laß das zurücklaufen! Der Hosaka soll nachsehen«, sagte er zur Konstruktion.
    Er schaltete um.
    Die Perspektive verdutzte ihn. Molly kauerte zwischen Stahlträgern,
    zwei Meter über einem breiten, fleckigen Betonboden. Der Raum war ein
    Hangar oder eine Servicezelle. Case konnte drei Raumschiffe sehen, keins größer als die Garvey und allesamt in verschiedenen Reparaturphasen. Japanische Stimmen. Jemand in einem orangen Overall trat aus einem Spalt im Rumpf eines wulstigen Baufahrzeugs und stellte sich neben einen seiner Arme, die Kolbenantrieb hatten und sonderbar menschlich wirkten.
    Der Mann tippte etwas in eine tragbare Console und kratzte sich an den Rippen. Eine karrenähnliche, rote Drohne rollte auf grauen Ballonreifen ins Blickfeld.
    CASE blinkte ihr Chip.
    »He«, sagte sie. »Warte drauf, daß mir jemand den Weg zeigt.«
    Sie hockte sich auf die Fersen. Die Arme und Knie ihres Modern-Anzugs
    zeigten das Blaugrau der lackierten Träger. Ihr Bein schmerzte jetzt anhaltend, stechend. »Hätte zu Chin sollen«, meinte sie.
    Etwas kam leise tickend aus der Dunkelheit, näherte sich in der Höhe
    ihrer Schulter. Es hielt inne. Der kugelige Körper schwankte auf langen, gekrümmten Spinnenbeinen, feuerte einen Mikrosekundenblitz von diffu—sem Laserlicht ab und erstarrte. Es war eine Mikrodrohne der Marke
    Braun. Case hatte schon mal ein solches Modell besessen, ein nutzloses Spielzeug, das er im Zuge eines

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