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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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des Flusses wand, ließ mich an verklumptes Blut denken. Abgeschälte Baumstämme lagen abgenagten Knochen gleich zu Haufen gestapelt am Rande des Flusses oder dümpelten in den Untiefen. Männer krabbelten und huschten mit Haken, Ketten und Stricken auf den treibenden Stämmen herum und fügten die Stämme zu kruden Flößen zusammen. Es war ein Gemetzel, ein Blutbad – sie schändeten den Leichnam Gottes.
    Auf der oberen Hälfte des Hanges fraßen sich Holzfä l lerbrigaden in den verbliebenen Wald wie Räude in das Rückenfell eines Hundes. Vor meinen Augen brachen Männer in der Ferne in Triumphgeheul aus, als ein ries i ger Baum fiel. Als er umkrachte, riss er andere, kleinere Bäume mit sich in die Tiefe. Ihre Wurzeln wurden aus dem Fleisch des Berges h erausgerissen, und sie brachen unter dem gigantischen Gewicht des Baumriesen z u sammen. Kaum hatten die Zweige aufgehört zu schwa n ken, krabbelten Männer wie Ameisen über den gefall e nen Baum und hackten ihm mit ihren Äxten die Äste ab.
    Ich wandte den Blick von der schaurigen Szenerie ab. Mir war übel, und ich fror. Eine furchtbare Vorahnung durchzuckte mich. So wie dieser Berghang würde die ganze Welt enden. Ganz gleich wie sehr sie den Berg auch schindeten, es würde diesen Männern niemals re i chen. Sie würden mit ihrem grausigen Werk überall auf dem Antlitz der Erde fortfahren und eine Schneise der Entweihung und der Verheerung hinterlassen, wo immer sie auftauchten. Sie würden den Wald verschlingen und Berge von Häusern ausscheiden, gebaut aus dem Stein, den sie der Erde abrangen, und aus dem Holz, das sie aus toten Bäumen gewannen. Sie würden Pfade aus blankem Stein zwischen ihre Häuser hämmern und die Flüsse ve r drecken und das Land unterjochen, bis es sich nur noch an den Willen des Menschen erinnern konnte. Sie kon n ten sich nicht selbst bremsen. Sie sahen nicht, was sie taten, und selbst wenn sie es gesehen hätten, hätten sie nicht gewusst, wie sie damit aufhören sollen. Sie wussten nicht mehr, was genug war. Der Mensch konnte den Menschen nicht länger aufhalten; es würde die Kraft e i nes Gottes erfordern, ihn aufzuhalten. Aber der Mensch metzelte gedankenlos den einzigen Gott nieder, der vie l leicht die Kraft gehabt hätte, ihm in den Arm zu fallen.
    In der Ferne hörte ich Warnrufe, vermischt mit Tr i umphgeschrei, und wieder fiel ein Waldgigant. Als er zu Boden krachte, stob ein riesiger Vogelschwarm auf und kreiste, angstvoll krächzend und kreischend in seiner Not, um den Schauplatz des Gemetzels herum, wie Kr ä hen um ein Schlachtfeld kreisen. Meine Knie gaben unter mir nach, und ich fiel auf das Deck. Ich hustete in der verräucherten Luft, würgte und hustete noch mehr. Ich rang heftig nach Luft, aber ich glaube, es war nicht der Rauch allein, der mich würgen machte. Es war Kummer, der mir die Kehle zuschnürte.
    Einer der Matrosen sah mich stürzen. Einen Moment später spürte ich eine derbe Hand auf meiner Schulter. Sie schüttelte mich, und jemand fragte, was mir fehle. Ich schüttelte den Kopf, außerstande, Worte zu finden, die meinem Kummer Ausdruck gegeben hätten. Wenig sp ä ter war mein Vater an meiner Seite, und dann kam auch der Kapitän, der seine Serviette noch in der Hand hielt.
    »Nevare? Bist du krank?«, fragte mein Vater besorgt.
    »Sie zerstören die Welt«, murmelte ich leise. Ich ve r schloss die Augen vor dem schrecklichen Anblick und raffte mich auf die Beine. »Ich … ich fühle mich nicht wohl«, sagte ich. Einerseits wollte ich mir vor meinem Vater, dem Kapitän und der Mannschaft keine Blöße g e ben. Andererseits scherte ich mich nicht darum; die U n geheuerlichkeit dessen, was ich gesehen hatte, war zu monströs, und ich wurde von Gewissheit überwältigt. »Ich glaube, ich lege mich noch einmal für eine Weile ins Bett.«
    »Wahrscheinlich der Gestank von all den Feuern«, sagte Kapitän Rhosher weise. »Von diesem Rauch wird jedem anfangs übel. Nach ein paar Stunden hast du dich daran gewöhnt, mein Junge. Stinkt auf jeden Fall nicht so schlimm wie Alt-Thares früh morgens, glaub mir. Wenn uns die verdammten Flöße nicht den Weg versperren, haben wir es in einem Tag hinter uns. Eine Gefahr für die Schifffahrt, diese verdammten Flöße. Früher bauten die Leute nur mit Stein. Jetzt wollen sie Holz, Holz, Holz und noch mehr Holz. Wahrscheinlich greifen sie wieder auf den guten alten Stein zurück, wenn sie diesen letzten Streifen abgeholzt haben. Dann werden die Steinbrüche

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