Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
gab einen Speisesalon mit weiß gedeckten Tischen und funkelndem Silber und einen Spielsalon, wo man Karten spielen und würfeln konnte, und vor allem gab es die anderen Passagiere. Mein Vater hatte ein Schiff ausgewählt, dessen Kapitän für seinen Wagemut und seine Schnelligkeit berühmt war. Unter den Kapit ä nen auf dem Soudana hatte sich ein Wettstreit darum entwickelt, wer die Passage flussabwärts am schnellsten zurücklegte. Am Tage genoss ich den Anblick der Lan d schaft, die vor unseren Augen vorüberzufliegen schien. Die Mahlzeiten waren meisterlich zubereitet, und jeden Abend gab es ein Unterhaltungsprogramm, sei es ein Konzert, eine Gesangsdarbietung oder ein Schauspiel. Mein Vater zeigte sich leutselig und gesellig und schloss schnell Bekanntschaft mit den meisten der anderen zwanzig Fahrgäste. Ich gab mir Mühe, um es ihm gleic h zutun. Er riet mir, mehr zuzuhören als selbst zu reden, und genau das schien meine Gesellschaft für die D a menwelt an Bord so attraktiv zu machen.
Es kam nur zu einer peinlichen Situation. Eine junge Frau hatte mich gerade ihrer Freundin vorgestellt. Bei der Nennung des Namens Burvelle war ihre Freundin aufg e fahren und hatte mich dann mit großem Interesse gefragt: »Aber Sie sind doch wohl nicht etwa verwandt mit Epiny Burvelle?« Worauf ich erwiderte, dass ich eine jüngere Base dieses Namens hätte, die ich freilich nicht sehr gut kennte. Daraufhin hatte die Frau laut gelacht und zu ihrer Begleiterin gesagt: »Stell dir vor, du müsstest zugeben, dass Epiny deine Base ist!«
»Sadia!«, rief meine Bekannte da sichtbar verlegen. »Benimm dich! Niemand kann etwas dafür, mit wem er verwandt ist, sonst müsste ich dich nicht als meine Base vorstellen!«
Darauf verschwand das Lächeln der anderen Frau, und sie wurde sogar ein wenig abweisend trotz meiner Vers i cherung, dass ihre Bemerkungen mich nicht im Gerin g sten gekränkt hätten. Die meisten meiner Begegnungen und Plaudereien mit den anderen Passagieren waren j e doch höflich und interessant und erweiterten meinen H o rizont, was ganz gewiss auch in der Absicht meines V a ters gelegen hatte.
Je weiter wir nach Westen kamen, desto mehr Me n schen wohnten an den Ufern des Flusses. Bald zeigten die Sonnenaufgänge uns schöne Bauernhöfe zu beiden Seiten des Stromes, und die Städte, an denen wir vorbe i fuhren, waren groß und voller Menschen. Fischersleute fuhren in ihren kleinen Ruderbooten auf dem Fluss u m her, warfen ihre Netze aus oder fischten mit Stangen. Unser Kapitän, fest entschlossen, wegen nichts und ni e mandem langsamer zu fahren, hielt oft direkt auf sie zu und zwang sie, auseinanderzuspritzen wie Wasserkäfer, um nicht von dem mächtigen Bug unseres Schiffes ze r malmt zu werden. Die jungen Damen, die das Schauspiel vom Oberdeck aus verfolgten, schnappten dann jedes Mal vor Schreck und Entsetzen hörbar nach Luft, um gleich darauf erleichtert zu lachen, wenn die kleinen Boote es gerade noch geschafft hatten, uns auszuwe i chen. Während der letzten beiden Tage unserer Reise gab es nicht einen Moment mehr, an dem ich nicht am Ufer Zeichen menschlicher Besiedlung und menschlichen Wirkens sehen konnte. Bei Nacht erhellten die gelben Lichter von Häusern die Ufer, und bei Tag stieg der Rauch aus den Schornsteinen und Kaminen himme l wärts. Verwundertes Staunen ergriff mich, als ich an all die vielen Menschen dachte, die dort so eng beieinander wohnten, und gleich auf dem Fuße folgte diesem Staunen ein Gefühl von Furcht: Schon bald würde ich unter all diesen Menschen leben müssen, tagaus, tagein, ohne je die Gelegenheit zu haben, für mich allein zu sein. Ich fand diese Vorstellung erschreckend. Meine frohe Erwa r tung verdüsterte sich zu einer grimmigen Vorahnung.
Ich erinnerte mich an die Warnung von Kapitän Rho s her, dass Alt-Thares noch viel schlimmer stinken würde als die Holzfeuer hinter Hartholz. Als ich meinen Vater danach fragte, zuckte er mit den Schultern.
»In Alt-Thares wird viel Kohle verbrannt, und es ist schon seit Hunderten von Generationen eine Stadt. Da wird es dort wohl zwangsläufig wie eine Stadt riechen. Der alte Kapitän Rhosher ist bestimmt seit zwanzig Ja h ren nicht mehr von seinem Kahn heruntergekommen. Die Gerüche seines eigenen Bootes und seiner Besatzung nimmt er wahrscheinlich schon gar nicht mehr wahr, aber dir erzählt er fröhlich, dass die Stadt stinkt. Es kommt immer darauf an, woran man gewöhnt ist, Nevare, und der Mensch kann sich an fast alles
Weitere Kostenlose Bücher