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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Aber das heißt noch lange nicht, dass ich deshalb ein interessantes Leben fü h ren kann. Obwohl ich sehr wohl danach trachte. Sehr s o gar. Gute Nacht, Nevare.« Sie lehnte sich zu mir herüber, als wolle sie mich auf die Wange küssen, aber sie hielt mitten in der Bewegung inne und starrte mein Ohr an. »Was hast du denn mit deinem Ohr gemacht?«
    »Ein Flachlandkrieger hat es mit seinem Schwane n hals eingekerbt. Ein Schwanenhals ist eine lange, g e krümmte Klinge.« Ich war froh, das sagen zu können. Ihre Bemerkung, ich sähe so normal aus, wurmte mich.
    »Ich weiß, was ein Schwanenhals ist, mein lieber Ve t ter.« Sie klang sehr altklug, als sie stehenblieb, die Hand auf dem Türknauf. »Und du bist und bleibst mein lieber Vetter, und ich werde dich auch weiterhin lieben, ganz gleich, wie langweilig du bist. Du brauchst mir also keine Räuberpistolen von wilden Flachländern aufzutischen. Du glaubst wahrscheinlich, du könntest einem Stadtmä d chen wie mir leicht einen Bären aufbinden, aber ich weiß, dass solche Geschichten Unfug sind. Ich habe viel über die Flachländer gelesen, und ich weiß, dass sie ein naturverbundenes und freundliches Volk sind, das in vollkommenem Einklang mit der Natur lebt. Ganz im Gegensatz zu uns.« Abermals stieß sie einen Seufzer aus. »Tisch mir keine Lügen auf, nur um dich wichtig zu m a chen, Nevare. Das ist so ein langweiliger Zug bei Mä n nern. Wir sehen uns dann morgen früh.«
    »Er hat mir mein Ohr sogar zweimal eingekerbt. Ich musste es nähen lassen!«, rief ich, tief in meiner Ehre getroffen, aber sie legte bloß den Finger auf den Mund, sagte »psst« und schloss die Tür hinter sich. Bevor sie bei mir aufgetaucht war, war ich rechtschaffen müde g e wesen und hatte eine angenehme Bettschwere gehabt. Jetzt aber konnte ich trotz meiner Müdigkeit nicht ei n schlafen, auch nicht, nachdem ich meine Kerze ausgebl a sen hatte. Ich lag in dem großen weichen Bett, lauschte d em Regen, der gegen die Fensterscheibe prasselte, und fragte mich, ob ich normal und langweilig war. Schlie ß lich entschied ich, dass Epiny zu exzentrisch war, um überhaupt zu wissen, was »normal« war, und damit kon n te ich endlich einschlafen.
    Es war gewiss nur meiner Jugend geschuldet, dass ich früh am nächsten Morgen jählings aus dem Schlaf hoc h schrak, als das Zimmermädchen schüchtern an meine Tür klopfte. Ohne groß nachzudenken bat ich es hereinz u kommen und blieb dann mit puterrotem Gesicht unter meiner Decke liegen, während es warmes Wasser holte und dann meine Reisekleider zum Auffrischen und Bü r sten wegschaffte. Ich war es überhaupt nicht gewohnt, auf diese Weise umsorgt zu werden, und selbst als das Mädchen wieder gegangen war, brauchte ich einige Zeit, bis ich mich überhaupt aus dem Bett traute – es konnte ja sein, dass es unangemeldet wieder zurückkam. Hastig wusch ich mich und zog mich an. Aus Gewohnheit räu m te ich mein Zimmer auf, und als ich fertig war, fragte ich mich, ob das Mädchen mich wohl für hinterwäldlerisch und merkwürdig hielt, weil ich mein Federbett selbst aufgeschüttelt und mein Laken eigenhändig straffgez o gen hatte. Dann ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich mir Gedanken darüber machte, was eine Dienstmagd wohl von mir halten würde. Nachdem ich diese Angel e genheit aus meinen Gedanken verscheucht hatte, begann ich nervös über all das nachzudenken, was mein Onkel am Abend zuvor über die Akademie gesagt hatte. Hätte ich mehr Zeit für mich gehabt, hätte ich mich wah r scheinlich furchtbar aufgeregt, aber zu meinem Glück rief mich ein erneutes Klopfen an meiner Tür zum Frü h stück mit meinem Onkel und meinem Vater.
    Beide waren trotz der kurzen Nacht wach, glattrasiert und fein gekleidet. Ich hatte erwartet, meine Tante und meine Basen am Tisch anzutreffen, aber es waren keine zusätzlichen Gedecke aufgelegt, und mein Onkel e r wähnte sie auch mit keinem Wort. Die Hausgehilfin se r vierte uns ein herzhaftes Frühstück aus Bücklingen und gegrilltem Fleisch mit Tee und Toast. Der Schlaf hatte meinen Appetit wiederbelebt, und ich langte tüchtig zu, bis mein Onkel bemerkte: »Iss ordentlich, Nevare; ich habe gehört, die erste Mahlzeit eines jungen Mannes auf der Akademie sei eine ziemlich hastige Angelegenheit. Ich bezweifle, dass dein Mittagsmahl dir ebenso gut munden wird wie dieses Frühstück.«
    Als ich dies hörte, verschwand mein Appetit schlaga r tig, und ich f ragte meinen Vater: »Heißt das, dass ich

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