Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
konnte der Kommandant nicht anders, als eine Entsche i dung zu treffen. Ihm blieb keine andere Wahl, als den Mann aus der Feste zu verbannen. Das gefiel den geme i nen Soldaten nicht. Sie haben sich vorgestellt, das Gle i che wäre ihnen passiert.«
»Der Kommandant hat zugelassen, dass der Soldat den Kundschafter tätlich angriff«, sagte ich.
»Ja. Das hat er getan, damit er einen offensichtlichen Grund hatte, ihn zu verbannen, unabhängig von der Dr o hung gegenüber der Tochter des Kundschafters. Und es war falsch vom Kommandanten, einen solchen Ausweg zu wählen, weil es der Ausweg eines Feiglings war. D a mit hat er Schande über sich gebracht. Und da ich als Augenzeuge dabei war, wird etwas von dieser Schande auch an mir haften bleiben – und an dir. Aber ich konnte nichts dagegen tun, denn er ist der Kommandant. Wenn ich seine Entscheidung angezweifelt hätte, hätte ich ihn in den Augen seiner Männer nur noch mehr geschwächt. So etwas macht ein Offizier nicht mit einem anderen.«
»Dann … dann hat Kundschafter Halorann sich ehre n haft verhalten?« Es schien mir plötzlich ungeheuer wic h tig, zu wissen, wer recht und wer unrecht gehandelt hatte.
»Nein.« Die Antwort meines Vaters war klar und ei n deutig. »Das konnte er gar nicht. Weil er sich schon an dem Tag unehrenhaft verhielt, an dem er sich eine Flac h länderin zum Weib nahm. Und es war äußerst töricht von ihm, das Erzeugnis dieser Vereinigung zum Außenposten mitzubringen. Die Soldatensöhne reagierten darauf en t sprechend. Sie stellte sich zur Schau mit ihren bunten Röcken und nackten Armen. Sie reizte sie damit auf. Sie wissen, dass sie niemals die rechtmäßige Frau eines Ge r niers sein wird und dass die meisten Flachländer sie nicht nehmen werden. Früher oder später wird sie wahrschei n lich als Lagerhure enden. Und als eine solche haben sie sie bereits heute behandelt.«
»Aber …«
Mit einem leichten Druck seiner Schenkel setzte mein Vater sein Pferd in Bewegung. »Ich glaube, das ist alles, was es für dich aus dem heutigen Tag zu lernen gibt. Wir werden nicht mehr darüber reden, und du wirst weder deiner Mutter noch deinen Schwestern etwas davon e r zählen. Wir haben noch ein gutes Stück Weg bis zum Einbruch der Dunkelheit zurückzulegen. Ich wünsche, dass du einen Aufsatz für mich schreibst, einen langen, ausführlichen Aufsatz über die Pflicht eines Sohnes, se i nem Vater zu gehorchen. Ich finde, das ist eine angeme s sene Strafe, denkst du nicht auch?«
»Ja, Vater«, antwortete ich leise.
2. Der Bote
Ich war zwölf, als ich den Boten sah, der die erste Kunde vom Anrücken der Seuche aus dem Osten brachte.
Es mag seltsam klingen, wenn ich das jetzt so sage, aber zu der Zeit hinterließ das bei mir keinen besonderen Eindruck. Es war ein ganz normaler Tag, ein Tag wie viele andere. Sergeant Duril, mein Reitlehrer, hatte mich den ganzen Vormittag über auf Sirlofty gedrillt. Der Wallach war der ganze Stolz meines Vaters, und dieser Sommer war der erste, in dem ich Manöver auf ihm üben durfte. Sirlofty war ein gut ausgebildetes Kavallapferd, das keinen Drill in Kampftritten und keine Dressurle k tionen brauchte, aber ich war grün in solchen Dingen und lernte genauso viel von meinem Reittier wie von Serg e ant Duril. Alle Fehler, die wir machten, wurden meistens meiner mangelnden Reitkunst angelastet – und das zu Recht. Ein Reiter muss eins sein mit seinem Tier; er muss jede seiner Bewegungen im Voraus spüren und darf niemals an seinem Sattel kleben oder in ihm herumza p peln.
Aber an diesem Tag hatten wir keine Tritte oder Sprünge gedrillt. Stattdessen musste ich dem großen schwarzen Pferd den Sattel und das Zaumzeug abnehmen und zeigen, dass ich auch so aufsitzen und ihn reiten konnte. Sirlofty war ein großgewachsenes, schlankes Pferd mit Beinen, die so gerade waren wie Eisenstangen, und mit einem Galopp, der einem das Gefühl gab, man würde fliegen. Obwohl er ein sehr gutmütiges und gedu l diges Pferd war, hatte ich bei meiner immer noch geri n gen Körpergröße ziemliche Mühe, vom Boden aus aufz u sitzen, aber Duril hatte darauf bestanden, dass ich es ü b te. Immer und immer und immer wieder. »Ein Kavallerist muss auf jedes Pferd steigen können, dessen er habhaft werden kann, und das unter allen Umständen, oder er kann gleich eingestehen, dass er nicht mehr Mumm hat als ein Fußsoldat. Willst du hinuntergehen und deinem Vater sagen, dass sein Soldatensohn sich lieber als Fu ß soldat
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