Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
seine Jungen mit der Zeit so gut wie aus den A u gen verloren. Alle paar Jahre erhielt er mal ein Leben s zeichen von dem einen oder dem anderen. Es kümmerte ihn nicht weiter. Seine Jungen taten nur das, was er von ihnen erwartete. Die Söhne von gemeinen Soldaten wu r den eben Soldaten, so, wie die Schrift es ihnen befahl. »Ein jeder Sohn soll seinem Vater nachstreben.«
Bei mir war es natürlich anders. Ich war der Sohn e i nes Edlen. »Die, so das Knie nur vor dem König beugen, sollen Söhne haben die Fülle. Der erste Sohn sei der E r be, der zweite trage das Schwert, der dritte diene als Pri e ster, der vierte arbeite um der Schönheit willen, der fün f te sammle Wissen an …«, und so weiter. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, mir den Rest des Textes zu me r ken. Ich hatte meinen Platz, und ich wusste darum. Als Zweitgeborener war ich dazu ausersehen, »das Schwert zu tragen« und Männer in den Krieg zu führen.
Ich hatte nicht mitgezählt, wie oft ich an jenem Tag schon abgesessen und wieder aufgesessen und ohne e i nen Fetzen Zaumzeug, an dem ich mich hätte festhalten können, auf Sirlofty im Kreis um Duril herumgeritten war. Wahrscheinlich genauso oft, wie ich Sirlofty den Sattel und das Zaumzeug abgenommen und wieder ang e legt hatte. Der Rücken und die Schultern taten mir weh vom Herunter- und Hinaufheben des Sattels, und meine Fingerspitzen waren taub vom Beschreiben des »Bleib fest«-Zaubers des Kavalleristen über dem Sattelgurt. Ich war gerade dabei, den Sattelgurt zum x-ten Mal festz u zurren, als Sergeant Duril mir plötzlich befahl: »Folge mir!« Gleichzeitig versetzte er seiner Stute mit den Ha c ken einen kräftigen Stups in die Flanken, worauf diese mit Macht vorwärtsstürmte. Ich hatte nicht genug Luft, um ihn zu verwünschen, während ich den Sattelgurt mit fliegenden Fingern festzurrte, hastig den »Bleib fest«-Zauber über ihm wob und mich in den Sattel schwang.
Wer noch nie über die Ebenen der Mittlande geritten ist, wird sie als flach und eintönig bezeichnen, als schier endlos sich dehnende Einöde. Vielleicht mögen sie den Passagieren der Flussboote so erscheinen, die gemächlich auf den Wasserstraßen dahingleiten, welche das Flac h land zugleich teilen und vereinen. Ich war in den Mit t landen aufgewachsen und wusste sehr wohl, wie trüg e risch ihre scheinbar so sanften Hänge sein konnten. Und Sergeant Duril wusste das natürlich auch. Schluchten und jähe Spalten lächelten mit versteckten Mündern, die nur darauf warteten, den unachtsamen Reitersmann zu ve r schlingen. Selbst die sanften Senken waren oft tief g e nug, um Berittene oder grasendes Rotwild zu verbergen. Was dem ungeschulten Auge aus der Ferne wie harml o ses Buschwerk erscheinen mochte, konnte sich von n a hem als schulterhohes, für einen Reitersmann schier u n durchdringliches Sichelbeergestrüpp entpuppen. Traue nie dem ersten Schein, schärfte mir der Sergeant immer wieder aufs Neue ein. Er hatte mir oft Geschichten da r über erzählt, wie die Flachländer sich die Tücken der Perspektive zunutze machten, wenn sie einen Hinterhalt legten, wie sie ihre Pferde darauf abrichteten, sich flach auf die Erde zu legen, und wie dann eine johlende Horde von Kriegern plötzlich gleichsam aus dem Erdboden he r vorschoss, um über eine unvorsichtige Reiterkolonne herzufallen. Selbst von der luftigen Höhe von Sirloftys Rücken aus waren Sergeant Duril und sein Pferd schon nicht mehr für mich auszumachen, als ich endlich im Sa t tel saß und hinter ihm her stob.
Das sanft wogende Grasland um mich herum wirkte leer und verlassen. In Breittal wuchsen nur wenige Bä u me, die diesen Namen verdienten, wenn man von denen absah, die mein Vater gepflanzt hatte. Die es tatsächlich schafften, aus eigener Kraft zu gedeihen, deuteten auf einen – zumeist jahreszeitlichen – Wasserlauf hin. Aber der größte Teil der Flora unserer Region war spärlich belaubtes, staubiges Graugrün, das sein Wasser in harten, ledrigen Blättern oder stachligen Palmen speicherte. Ich beeilte mich nicht, sondern nahm mir die Zeit, sorgfältig den gesamten Horizont nach einer Spur von Duril und seinem Pferd abzusuchen. Aber ich fand keine. Der ei n zige Anhaltspunkt, den ich hatte, waren die trockenen Kerben von Chafers Hufabdrücken auf dem harten B o den. Ihnen folgte ich. Über Sirloftys Hals gebeugt, den Blick auf den Boden gerichtet, war ich von Stolz auf meine Fähigkeit erfüllt, sie lesen und ihnen folgen zu können, bis ich
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