Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
ausgedrückt, Kadetten?«
»Jawohl, Sir«, kam die mürrische Antwort.
»Kadett Burvelle, Sie dürfen jetzt gehen, um meinen Befehl auszuführen. Wegtreten.«
Während ich wegging und sie dort zurückließ, ließ Leutnant Tiber die b eiden anderen Kadetten weiter strammstehen. Ich war froh, dass meine Folter vorüber war, aber ich befürchtete auch, dass Leutnant Tiber mich durch sein Eingreifen zu einer ganz besonderen Zie l scheibe des Hasses für die Drittjährler gemacht hatte.
Sein Eingreifen und seine anschließenden Bemerku n gen hatten mir viel Stoff zum Grübeln gegeben, aber erst spät am Abend fand ich Gelegenheit, mit Rory darüber zu sprechen. Das Licht war bereits gelöscht, und genau genommen verstieß es gegen die Vorschriften, aber uns e re Gruppe war bereits dabei, ihre eigene Auslegung der Vorschriften für unseren Flur zu entwickeln. Unser Au f sichtführender hatte das Licht wie gewohnt pünktlich gelöscht, wobei er, ebenfalls wie gewohnt, die ignoriert hatte, die noch irgendwelchen Kleinkram zu erledigen hatten. Doch statt uns im Dunkeln zu unseren Betten zu tasten, hockten wir uns auf den Fußboden des Gemei n schaftsraumes, wo wir uns an den Resten der Glut im Kamin wärmen konnten. Mit gedämpfter Stimme erzäh l te ich von meinem Missgeschick und von meiner Rettung durch Leutnant Tiber. Nachdem sie sich über meine pei n liche Situation sattgekichert hatten, fragte ich Rory: »Hat dein Vetter dir je irgendetwas von Feindseligkeiten zw i schen den Söhnen von alten und denen von neuen Ede l leuten erzählt?«
»Da brauchte er mir nicht viel zu erzählen, Nevare«, sagte Rory. »Es war klar, dass es zwischen den alten Edelleuten und den Erstjährlern, die Söhne von neuen Edlen sind, die größten Spannungen geben würde. Sie stehen hier ganz oben an der Spitze, und wir stehen ganz, ganz unten. Wir sind nicht nur Erstjährler, sondern auch noch Söhne von neuen Edelleuten.«
»Aber wieso sind wir deshalb der letzte Dreck?«, fra g te Spink ernst.
Rory warf die Hände hoch, um Worte verlegen. »Ei n fach so halt. Weil es schon immer so war. Die Söhne von altem Adel wissen, wo’s langgeht, und sie kennen sich untereinander alle von Bällen und Empfängen und g e sellschaftlichen Ereignissen. Deshalb achten sie beso n ders auf die Erstjährler von alten Edelleuten und fassen sie nicht so hart an. Uns aber dafür umso härter. Du wirst selten hören, dass ein Sohn eines alten Edelmannes i n folge der Initiation im Lazarett landet.«
»Das stimmt«, bestätigte Gord.
»Ist denn tatsächlich schon mal jemand im Lazarett gelandet?« Ich hatte noch nie etwas davon gehört.
Natred nickte ernst. »Ein Erstjährler aus Haus Skel t zin. Ihre Drittjährler haben sie in voller Montur in den Fluss marschieren lassen, und dort mussten sie dann eine Stunde lang bis zur Brust im Wasser stehen. Als sie i h nen schließlich den Befehl gaben, wieder herauszuko m men, rutschte einer der Kadetten aus und ging unter und kam nicht wieder hoch. Er fror, der Boden des Flussbetts war schlüpfrig, und seine Uniform hatte sich mit Wasser vollgesogen. Vermutlich war er so geschwächt und u n terkühlt, dass er von alleine nicht mehr auf die Beine kam. Ich habe gehört, wie einige der älteren Kadetten sich köstlich darüber amüsierten, dass er in vier Fuß h o hem Wasser fast ertrunken wäre.«
»Und er musste deswegen ins Lazarett?«
»Nicht er. Einer seiner Freunde bekam einen Wuta n fall und schrie, sie hätten ihn umbringen wollen, und griff tätlich den Drittjährler an, der den Befehl gegeben hatte. Der Drittjährler und die anderen Zweitjährler stür z ten sich daraufhin auf ihn und richteten ihn ganz übel zu. Jetzt wird er wahrscheinlich von der Schule verwiesen. Wegen Ungehorsams.«
»Dann wären sie schon wieder den Sohn eines neuen Edelmannes losgeworden«, sagte Kort leise. »Ihre eig e nen Erstjährler schikanieren sie nicht so herum. Sicher, sie müssen die Treppe schrubben oder eine Stunde lang singen. Aber sie tun ihnen keine Seife in die Suppe und lassen sie auch nicht die Treppe hinunterstürzen. Oder fast ertrinken.«
»Aber das ist doch ungerecht!«, begehrte Spink auf. Er klang zugleich verletzt und verwirrt. »Unsere älteren Brüder sind Erben und werden eines Tages Herren sein, genau wie ihre Brüder. Wir haben das gleiche Recht, hier zu sein, wie sie. Wenn unsere Väter und ihre Großtaten nicht gewesen hätte, gäbe es diese Akademie überhaupt nicht! Warum behandeln sie uns so
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