Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
musste mich d abei weiter anraunzen lassen. »Die Knie hoch, Kadett!« »Singen Sie lauter, Kadett! Oder schämen Sie sich ihres guten Hauses Carneston?«
Sie standen in der Mitte meiner Kreisbahn und weid e ten sich an meinem Unbehagen und meiner Verlegenheit, als plötzlich ein anderer Kadett auf dem Kiesweg nahte. Die Streifen auf seinem Ärmel wiesen ihn als einen K a detten im vierten Jahr aus, und ich wappnete mich inne r lich gegen neue Schikanen von seiner Seite. Stattdessen sah ich, als er näherkam, wie in die Gesichter der beiden Kadetten, die mich getriezt hatten, ein Ausdruck tiefer Abneigung trat. Er war jetzt auf gleicher Höhe wie wir, und ich musste in meinem albernen Marsch innehalten, um den Neuankömmling zu grüßen. Aber seine Au f merksamkeit war nicht auf mich gerichtet, sondern auf meine Peiniger.
»Würden Sie mich gefälligst grüßen, meine Herren«, sagte er in eisigem Tonfall zu ihnen, und ich hörte an der Art, wie er die Vokale dehnte, sofort den Grenzländer heraus.
Die beiden nahmen widerstrebend Haltung an und grüßten ihn. Er ließ sie so stehen und wandte sich mir zu. Es gab nicht viele Viertjährler an der Akademie. Diejen i gen, die über die normale Zeit hinaus noch ein weiteres Jahr dranhängten, taten dies ausschließlich auf Bitten der Akademieführung hin, aufgrund überragender akadem i scher Leistungen und Fähigkeiten, die im Felde oder an der Front nicht voll zur Entfaltung kommen konnten. Genau genommen hatte er sein Studium an der Akademie bereits abgeschlossen und nahm den Rang eines Leu t nants ein, trug aber bis zum offiziellen Abschluss seiner Ausbildung weiter die Uniform eines Kadetten. Ich b e merkte das Zahnrademblem an seinem Kragen, das A b zeichen des Pionierregiments. Dorthin würde er nach Vollendung seines Zusatzjahres gehen, und er würde dort wahrscheinlich schon bald in den Rang eines Majors au f steigen. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und fragte mich nach meinem Namen.
»Kadett Nevare Burvelle, Sir.«
Er nickte. »Natürlich. Ich habe von Ihrem Vater g e hört. Ziehen Sie Ihre Uniform wieder an, Kadett, und gehen Sie auf Ihr Revier.«
Die Ehrlichkeit gebot, dass ich ihm sagte: »Ich habe noch drei Strafrunden zu drehen, Sir.«
»Nein, Kadett, haben Sie nicht. Ich erlasse sie Ihnen hiermit – und jede andere törichte Zeitverschwendung, die diese beiden hier Ihnen auferlegt haben.«
»Wir haben doch bloß ein bisschen Spaß gemacht, Sir.« Die Worte waren hart am Rande des Respekts, der Tonfall war es nicht; er war geradezu aufreizend schnoddrig. Der Pionier schaute den Drittjährler an, der die Bemerkung gemacht hatte.
»Mir ist aufgefallen, dass Sie Ihren ›Spaß‹ ausschlie ß lich mit den Söhnen von neuen Edelleuten treiben. Wa r um suchen Sie sich für Ihre ›Späße‹ nicht Ihre eigenen Leute aus, Kadett Ordo?«
»Wir sind Drittjährler, Sir. Wir haben Autorität über alle Erstjährler.«
»Sie hat niemand gefragt, Kadett Jaris. Halten Sie den Mund.« Er wandte sich von ihnen ab und sah mich an. Ich band mir so schnell ich konnte die Stiefel zu. Meine Peiniger starrten mich mit kaltem Hass an, weil ich Ze u ge ihrer Demütigung geworden war. Ich wollte so schnell wie möglich von ihnen weg. »Kadett Burvelle, sind Sie fertig angezogen?«
»Jawohl, Sir!«
»Dann befehle ich Ihnen, sofort in Ihr Wohnheim zu gehen und sich an Ihre Hausaufgaben zu setzen.« Er m u sterte die beiden, die immer noch strammstanden. »Sol l ten Sie erneut von einem dieser beiden Kadetten au f gehalten werden, teilen Sie Ihnen respektvoll mit, dass sie bereits einen Auftrag für Kadettenleutnant Tiber zu erledigen h a ben. Das bin ich. Und sodann fahren Sie u n verzüglich mit Ihrer Tätigkeit fort. Ist das klar, Kadett? Mein Befehl an Sie lautet, dass Sie Ihre Zeit nicht mit der Teilnahme an dieser albernen ›Initiation‹ zu verschwe n den haben.«
»Jawohl, Sir.«
Er wandte sich wieder an die beiden Drittjährler. »Und Ihnen beiden ist klar, dass Sie den Kadetten Burvelle nicht weiter zu schikanieren haben?«
»Wir haben die Erlaubnis, die Erstjährler bis zur sec h sten Woche zu initiieren.« Es verstrich ein Moment, ehe das »Sir« folgte.
»Ach ja? Nun, und ich habe die Erlaubnis, und zwar für dieses gesamte Jahr, Drittjährlern die Befehle zu e r teilen, die ich für richtig halte. Und mein Befehl lautet, dass Sie sich nicht länger an der ›Initiation‹ von Söhnen von neuen Edelleuten zu beteiligen haben. Habe ich mich klar
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