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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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haben.«
    »Wir alle hätten es besser wissen müssen«, sagte Spink ernst. In dem Getümmel hatte ich ihn gar nicht wahrgenommen, aber er hatte ein blaues Auge und blut e te aus der Nase.
    Trist verdrehte die Augen in seine Richtung. »Ja, die Kavalla will, dass wir alle kleine Heilige sind. Komm schon. Das passiert doch jedes Jahr. Glaubt ihr nicht, die wollten damit unseren Mut auf die Probe stellen? Wenn wir alle gesagt hätten: ›Oh, tut uns Leid, aber Gewalt löst keine Probleme, sollen sie doch unsere Fahne behalten, ist eh nur ein bunter Lappen …‹ Also, glaubt ihr, danach hätte noch einer von denen Respekt vor uns gehabt?«
    »Was ist überhaupt aus unserer Flagge geworden?«, fragte Natred mit einem Lächeln. Auf seinen Zähnen glänzte Blut.
    Wir sahen uns fragend an. Aber es war Nate selbst, der die Antwort g ab, indem er unser braunes Ross unter dem Hemd hervorzog. Er grinste, als er es uns zeigte. »Ihr glaubt doch nicht etwa, ich würde unsere Farben im Dreck liegen lassen, oder?«
    Rory ging über den Flur, um ihm auf die Schulter zu klopfen. Dann hob er die Fahne in die Höhe und schwenkte sie stolz für uns alle. Trotz meiner fast pan i schen Angst vor den möglichen Konsequenzen unserer Prügelei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Schon in unserem ersten Gefecht hatte unsere Gruppe gewonnen; wir hatten unsere Farben gerettet und nur zwei Verwundete zu beklagen gehabt. Ich fand, dass das ein gutes Omen für die Zukunft war. Aber schon im nächsten Moment fragte ich mich beklommen, wie schwer unsere Strafe dafür ausfallen würde, dass wir fünf Kadetten verletzt hatten. Wir sprachen noch eine Weile auf dem Flur miteinander, und dann begaben wir uns wieder auf unsere Stuben.
    Dort setzten wir uns auf unsere Kojen oder erledigten kleinere Arbeiten. Ich wusch mit kaltem Wasser das Blut aus meinem Hemd aus und setzte mich dann hin, um den Ärmel zu flicken, Natred döste. Ich starrte an die Decke. Spink und Kort sprachen leise über ihre Familien und wie sie reagieren würden, wenn sie schlechte Nachric h ten über sie erhielten. Ich wollte nicht einmal darüber spekulieren, was mein Vater zu so etwas sagen würde.
    Die Abendbrotzeit kam und ging, und draußen wurde es dunkel. Trent und Jared wurden zu uns zurückg e bracht. Beide waren so vollgepumpt mit Laudanum, dass sie keinen klaren Satz herausbekamen. Die saubere Reihe schwarzer Stiche auf Jareds Stirn und die Schiene an Trents Arm sprachen für sich. Sie legten sich aufs Bett und schlossen die Augen. Der Abend zog sich endlos hin. Ich machte einen kurzen Ausflug ins Gemeinschaft s zimmer und holte meine Bücher. Wir setzten uns auf den Boden und vollendeten wortlos die Lektionen, die wir unterbrochen hatten, als wir in die Schlacht gezogen w a ren. Eine düstere Stimmung legte sich über uns. Wir ha t ten immer noch keinen Bescheid erhalten, und ich gla u be, das drückende Schweigen wirkte bedrohlicher, als jede Urteilsverkündung es hätte tun können. Als Sergeant Rufet »Nachtruhe!« die Treppe heraufbrüllte, gehorchten wir prompt und suchten schweigend unsere Betten auf.
    Ich schlief nicht gut. Ich bezweifle, dass irgendeiner von uns gut schlief. Ich taumelte von einem wirren Traum in den nächsten. Sie waren a llesamt beunruh i gend. In einem war ich eine Frau, die des Nachts auf dem Gelände der Akademie herumirrte und laut rief: »Aber wo sind die Bäume? Was ist aus dem uralten Wald des Westens geworden? Ist diesem Volk alle Weisheit a b handen gekommen und ist es deshalb dem Wahn verfa l len? Was kann man für so ein Volk tun? Was kann gegen seinen Wahn bestehen, wenn es seinem eigenen Wald so etwas angetan hat?«
    Ich wachte davon auf, dass ich mich ruhelos in me i nem Bett hin und her wälzte, und dann lag ich da und grübelte über diese Frage nach. Ich sah keinen Sinn in ihr, aber ein Teil von mir wünschte sich sehnsüchtig eine Antwort. Warum war die Stadt besser als der Wald, der dort einst gestanden hatte? Das wollte ich wissen, auch wenn die Frage selbst keinen Sinn zu ergeben schien.
    Als ich wieder zurück in den Schlaf sank, war es, als sänke ich in ein Teerloch. Ich träumte, ich ginge auf dem abgeholzten Hang oberhalb des Flusses spazieren, und etwas ginge neben mir her. Jedes Mal wenn ich mich umdrehte und versuchte, einen Blick darauf zu erh a schen, war dieses Etwas ein paar Schritte hinter mir, i m mer am Rande meines Gesichtsfeldes. Ich konnte seinen Schatten auf dem Boden sehen. Seine Schultern waren

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