Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
gemacht.
    Als Trist die Tür seines Zimmers hinter sich zuschlug, wich die Röte des Sieges aus Spinks Gesicht. Er senkte den Blick und schaute mit Bestürzung auf sein von der Tinte ruiniertes Buch. Rasch packte er seine unversehrt gebliebenen Bücher weg, und dann kam er mit einem Putzlappen zurück und begann, an dem Tintenfleck he r umzuschrubben. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich der Einzige war, der noch am Tisch saß. Ich schlug me i ne Bücher zu und raffte meine Zettel zusammen, um Platz für ihn zu schaffen. Ich schloss auch Gords Bücher und packte sie weg. Mir fiel nichts ein, was ich zu Spink hätte sagen können. Schließlich war er es, der das Schweigen brach. Ganz leise fragte er: »Glaubst du, dass Gord uns gemeldet hat?«
    In seiner Stimme lagen Angst und Schmerz. Ich war so sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt gew e sen, dass ich mir die Frage überhaupt nicht gestellt hatte, wohin Gord verschwunden sein mochte. Ich überlegte, was Spink durch den Kopf gegangen sein musste: dass als Einziger von all seinen Kommilitonen ausgerechnet Gord ihn verraten hatte, indem er den Ehrenkodex g e wahrt hatte, auf den wir allesamt eingeschworen waren. Und wenn Gord das getan hatte, konnte es sehr gut sein, dass Spink nach Hause geschickt würde, denn er hatte unbestreitbar als Erster zugeschlagen. Und gleich daran schloss sich der feige Gedanke an: Wenn wir uns alle hinter Trist und Spink stellten und sagten, dass es gar keinen Kampf gegeben hatte, dann würde Gord als Lü g ner dastehen, und nur er würde die Akademie verlassen müssen.
    Und da waren wir nun, alle miteinander, hin und her gerissen zwischen der Loyalität gegenüber unserer Gru p pe und der Ehre der Akademie. Auf welche Seite würde ich mich schlagen? Auf die von Spink? Auf die von Gord? Mir schwante plötzlich, dass wir schlimmstenfalls alle wegen dieser Sache von der Akademie fliegen kon n ten. Mir wurde ganz elend. Ich sah keine Möglichkeit, vollkommen ehrlich zu sein, mich an meinen Eid gege n über der Akademie zu halten und gleichzeitig meinen Freunden die Treue zu halten. Verzweifelt ließ ich mich auf meinen Stuhl zurückplumpsen. »Ich weiß es nicht«, sagte ich. Und fügte hinzu: »Aber wenn er das getan hä t te, dann wären sie doch inzwischen längst hier. Vielleicht hat er es doch nicht gemeldet.«
    »Aber wo ist er dann hin? Und warum?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht die leiseste A h nung.« Sorge erwachte in mir. Wo konnte er hingega n gen sein? Die Vorschriften für Erstjährler waren einde u tig: Die Abende sollten mit Lernen und Haushaltstäti g keiten verbracht werden, gefolgt von zeitiger Bettruhe. Wir waren zwar nicht direkt in unserer Kaserne eing e sperrt, aber es gab auch wenig, das geeignet gewesen wäre, uns aus ihr herauszulocken. Das Wetter war scheußlich, und ein Spaziergang auf dem Gelände, das wir mehrmals am Tag auf dem Wege zum Unterricht überquerten, bot wenig Reiz. Die körperlichen Anstre n gungen des Tages schafften uns so, dass sich unser Inte r esse, am Abend noch die Turnhalle aufzusuchen, in e n gen Grenzen hielt. Hin und wieder besuchten uns Gas t dozenten, Dichter oder Musiker, die abends ihre Vorträge und Darbietungen hielten, aber der Besuch solcher Ve r anstaltungen war verbindlich und wurde von uns n icht als Freizeitbeschäftigung betrachtet. Nichts dergleichen war für diesen Abend geplant. Und ganz sicher würde Gord nicht versucht haben, sich an den Wachtposten an den Toren der Akademie vorbeizustehlen. Ich konnte mir allenfalls vorstellen, dass er ganz allein für sich im abendlichen Nieselregen einen Spaziergang auf dem G e lände machte. Es war eine traurige Vorstellung, dennoch hatte ich wenig Mitgefühl mit ihm. Das abendliche Des a ster war ebenso seine Schuld. Wenn er sich von Anfang an gegen Trists Sticheleien zur Wehr gesetzt hätte, wäre es niemals zu Handgreiflichkeiten zwischen Trist und Spink gekommen. Und wenn er es nur endlich einmal schaffen würde, seinen Appetit zu zügeln, fügte ich in Gedanken wütend hinzu, würde er den Leibesumfang verlieren, der ihn zu einer solchen Zielscheibe für Häns e leien machte.
    Das waren meine Gedanken, als ich mich zur Nachtruhe rüstete. Mit meinen Aufgaben war ich nicht fertig geworden, und ich ärgerte mich darüber. Wah r scheinlich würde ich am nächsten Tag eine Strafarbeit wegen Faulheit aufgebrummt bekommen, die ich wä h rend der Ferientage würde machen müssen. Die anderen fre u ten sich unterdessen

Weitere Kostenlose Bücher