Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
spie keuchend ein übles Schimpfwort aus. Spinks G e sichtsausdruck zeigte keine Veränderung, nur sein Griff wurde noch fester, und dann: »Ich geb auf, ich geb auf«, japste Trist.
Spink lockerte seinen Griff, aber nicht ganz. Er gesta t tete Trist, einmal nach Luft zu schnappen. »Entschuldige dich!«, befahl er.
Trist war einen Moment lang sehr still. Seine Brust hob und senkte sich, als er erneut Luft holte. Ich glaubte, es sei ein Trick, und dass er sofort wieder versuchen würde freizukommen. Aber ich hatte mich geirrt. »Na schön«, sagte er mit hörbarem Widerstreben.
»Dann entschuldige dich«, sagte Spink ruhig.
»Aber das hab ich doch gerade getan!«, blaffte Trist den Fußboden an, sichtbar wütend darüber, dass Spink ihn weiterhin dort festnagelte. Ich glaube, der Ehrverlust schmerzte ihn mehr als Spinks Würgegriff.
»Sprich es aus«, erwiderte Spink stur.
Trists Brust hob sich erneut, und er ballte die Fäuste. Als er sprach, leierte er die Worte lediglich herunter, als wolle er, dass alle hörten, dass er es nicht ehrlich meinte. »Ich entschuldige mich, dass ich dich beleidigt habe. Und jetzt lass mich los.«
»Entschuldige dich auch bei Gord«, beharrte Spink.
»Wo ist Gord überhaupt?«, fragte Rory plötzlich. Ich hatte dem Drama so gebannt zugeschaut, dass ich die anderen fast vergessen hatte.
»Er ist fort!«, rief Oron. Und dann, ohne auch nur Luft zu holen: »Er hat uns bestimmt gemeldet. Dieser ve r dammte Verräter!«
In der Totenstille, die seiner Anschuldigung folgte, hörten wir schwere Stiefel hastig die Treppe heraufsta p fen. Es klang nach mehr als einem Mann. Ohne ein we i teres Wort ließ Spink Trist los, und beide flitzten zurück zu ihren Stühlen am Arbeitstisch und setzten sich hin. Wir anderen folgten ihrem Beispiel. In weniger als zwei Sekunden sah alles so aus, als wären wir in unsere Hausaufgaben vertieft. Die Bücher und Blätter, die auf den Boden gefallen waren, hatten wir vorher noch schnell aufgesammelt. Bis auf Trists immer noch geröt e tes Gesicht und leicht zerknittertes Äußeres und eine leichte Rötung auf der linken Seite von Spinks Kinnlade sahen wir so aus wie immer. Spink tupfte kläglich mit Löschpapier an der verschütteten Tinte und seinem ru i nierten Buch herum, als Unteroffizier Dent und unser sommersprossiger Aufpasser hereinmarschiert kamen.
»Was geht hier vor?«, schnauzte Dent wütend, noch bevor er es überhaupt bis ganz in den Raum geschafft hatte. Wir hoben die Köpfe und schauten ihn alle ve r blüfft an.
»Unteroffizier Dent?«, fragte Trist ihn, sichtlich ve r wirrt.
Dent warf unserem Aufpasser einen wütenden Blick zu und starrte dann erneut uns an. »Hier hat eine Ausei n andersetzung stattgefunden!«, blaffte er.
»Das war meine Schuld, Herr Unteroffizier«, sagte Spink mit todernster Miene. Er sah aus, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun. »Ich habe aus Versehen mein Tintenfass umgekippt; zum Glück habe ich nur mein eigenes Buch und meine eigenen Hausaufgaben dabei ruiniert.«
Ich konnte fast fühlen, wie sehr Dent enttäuscht war. Er rettete sich mit: »Fünf Strafrunden wegen Unterbr e chens der Lernstunde, abzuleisten an Ihrem Siebttag, K a dett. Und jetzt zurück an eure Bücher, alle miteinander. Ich habe Besseres zu tun als hier hinaufzurennen und euch zur Ruhe zu ermahnen.«
Er verließ das Zimmer, und nach einem untröstlichen Blick auf uns, die wir alle brav wie die Lämmer dasaßen und lernten, folgte ihm unser Aufpasser. Draußen auf dem Flur hörten wir, wie er sagte: »Aber Herr Unteroff i zier, ich habe doch selbst gesehen, wie …«
»Schweigen Sie!«, raunzte Dent ihn an, und kurz da r auf, mehrere Treppenabsätze tiefer, hörten wir eine mit gedämpfter Stimme heruntergerasselte wütende Wor t kaskade von Dent, untermalt von weinerlichen Protesten seitens unseres Aufsichtsführers. Als er einen Moment später zu uns zurückkehrte, waren seine Sommersprossen nicht mehr zu sehen, so zornesrot war er. Er starrte uns an und sagte: »Einen Moment! Wohin ist der Dicke ve r schwunden?«
Wir schauten einander verblüfft an. Rory versuchte, uns zu retten. »Der dicke Wälzer, Herr Unteroffizier? Sie meinen das Wörterbuch? Das habe ich hier.« Rory hob den schweren Band hoch.
»Nein, du Idiot! Der dicke Kadett, dieser Gord! Wo ist er?«
Niemand gab Antwort. Niemand hatte eine Antwort. Erneut schaute er uns mit wütendem Blick an. »Der wird großen Ärger bekommen. Großen, großen Ärger.« Er
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