Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
ja nicht einmal real!«
»Nein? Bin ich das nicht? Dann wach auf, Soldate n sohn, und schau, wie real ich bin!«
Und mit diesen Worten stieß sie mich von sich weg. Plötzlich fiel ich, fiel in die Schlucht, die ich unter so l chen Gefahren auf den wackligen Brücken überwunden hatte. Ihre Ranken fesselten meine Arme fest an meinen Körper. Ich wollte schreien, aber ich fiel so schnell, dass ich nicht einmal Luft holen konnte.
Ich habe gehört, dass Träume vom Fallen zwar sehr häufig vorkommen, dass der Träumende aber stets au f wacht, bevor er auf den Boden aufschlägt. Bei mir war das nicht so. Ich schlug auf den Felsengrund auf. Ich spürte, wie mein Brustkorb nachgab, wie meine Arme und Beine von der Wucht des Aufpralls noch einmal in die Höhe geschleudert wurden, bevor sie erneut auf dem Boden aufschlugen. Alles um mich herum wurde schwarz und drehte sich. Ich schmeckte Blut. Ich stöhnte und öffnete mit einer großen Kraftanstrengung die A u gen. Zuerst wagte ich nicht, mich zu bewegen, da ich sicher war, dass jeder Knochen in meinem Leib ze r schmettert war. Ich lag ganz still da und versuchte, mir einen Reim auf das zu machen, was ich sah.
Mondlicht fiel schwach durch das Fenster herein. Ich konnte die Umrisse von Spinks Bett ausmachen, das n e ben meinem stand. Ich begriff nach und nach, dass ich auf dem Boden des Schlafraumes lag. Mein zerwühltes und ineinander verheddertes Bettzeug war alles, was mich fesselte. Ich befreite mich aus dem Knäuel und set z te mich auf. Ich hatte e inen Albtraum gehabt und war aus dem Bett gefallen. Ein sehr seltsamer Traum, aber eben bloß ein Traum und wahrscheinlich eine Folge der Nervosität, die mich angesichts des morgigen Tests und Epinys merkwürdiger Vorstellungen von mir plagte. Mein Kopf tat weh. Ich betastete ihn mit der Hand, und für einen Moment hätte ich schwören können, eine mit Pech verschmierte Skalplocke auf meinem Schädel fü h len zu können. Ich strich mit den Fingern darüber, und plötzlich war sie weg und ich fühlte nur die Narbe auf meinem Kopf. Sie war nass von Blut. Bei meinem Sturz war sie wieder aufgebrochen. Mit einem Stöhnen rappe l te ich mich von dem harten Fußboden auf und legte mich wieder ins Bett. Irgendwann schlief ich ein.
20. Die Überquerung
Ich wachte vor dem Morgengrauen bestimmt ein Du t zend Mal auf, in diesem schrecklichen Teufelskreis aus tiefer Müdigkeit und der Angst vor dem Verschlafen. Das Zimmer war kälter als üblich. Meine Decke war zu dünn, und ich zitterte am ganzen Leib. Mein unruhiger Halbschlaf hatte mich müder gemacht, als eine durc h wachte Nacht es vermocht hätte. Irgendwann sah ich ein, dass jeder Versuch, noch einmal Schlaf zu finden, au s sichtslos war. Um mich herum in der Dunkelheit konnte ich am Quietschen von Federn und am Rascheln von Bettzeug erkennen, dass meine Stubenkameraden gena u so unruhig waren wie ich. Also sprach ich in die Dunke l heit hinein: »Wir könnten genauso gut aufstehen und uns für den Tag rüsten.«
Kort antwortete mit einem Kraftausdruck, den ich bei ihm noch nie gehört hatte. Natred lachte bitter. Die be i den hatten immer den Eindruck erweckt, als seien sie so gut wie immun gegen die Anspannung; jetzt wurde mir klar, dass sie genauso nervös waren wie alle anderen. Ich hörte, wie Spink sich wortlos aufsetzte. Er seufzte tief, tastete sich durch die Dunkelheit zu unserer Lampe und zündete sie an. In ihrem fahlen Schein sah er aus, als h a be er die Gelbsucht. Obwohl er länger geschlafen hatte als ich, hatte er immer noch dunkle Ringe unter den A u gen. Er kratzte sich an der Wange, und dann ging er zum Waschbecken und musterte sich im Spiegel. »Inzwischen würde ich es fast schon als Erleichterung empfinden, wenn ich durchfallen würde«, sagte er leise. »Einfach nach Hause geschickt werden und wissen, dass alles ein für allemal vorbei ist und keiner mehr irgendwelche E r wartungen an einen richtet.«
»Und uns alle mit in den Abgrund reißen?«, fragte N a tred entrüstet.
»Natürlich nicht. Das würde mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen. Und das ist der Grund, weshalb ich so gebüffelt habe und nicht durchfallen werde. Nicht heute. Ich werde nicht durchfallen.«
Aber selbst für mich klang das mehr wie das spric h wörtliche Pfeifen im Walde.
Der Raum war kälter, und das Licht der Lampe schien trüber als gewöhnlich, als wir uns ankleideten. Während ich darauf wartete, dass das Waschbecken frei wurde, ging ich ans Fenster und
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