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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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reichte und mir noch irgendetwas einfiel. Ich kämpfte mit den Daten und der richtigen Reihenfolge der Schlachten. Ich schrieb, bis mir der Bleistift zwischen den Fingern durchrutschte und mir die Hand wehtat. Und schon kündigte Hauptmann Infal an: »Die Zeit ist um, Kadetten. Schreiben Sie den Satz, an dem Sie gerade sind, zu Ende, und legen Sie Ihre Bleistifte weg. Lassen Sie Ihre Blätter auf dem Tisch liegen. Ich werde sie selbst einsammeln. Wegtreten.«
    Und das war’s. Draußen war es ein bisschen wärmer geworden, aber n icht warm genug, um das Eis auf den Gehwegen zum Schmelzen zu bringen. Je näher wir dem Fluss kamen, desto kälter blies der Wind. Das baufällige Mathe- und Naturkundegebäude knarrte in der Kälte. In den Klassenzimmern standen Kohleöfen, aber ihre Wä r me schien sich nicht weiter zu verbreiten als ein paar Fuß über ihre düsteren eisernen Bäuche hinaus. Wir nahmen unsere gewohnten Plätze ein, also so, dass Gord auf der einen Seite von Spink saß und ich auf der anderen. Hauptmann Rusk wartete, bis wir alle Platz genommen hatten, dann ging er an die Tafel und schrieb die erste Aufgabe an. »Beginnen Sie, sobald sie soweit sind«, wies er uns an. Ich lächelte Spink zu, um ihm Mut zu machen, aber ich glaube, er nahm es gar nicht wahr. Seine Nase war vor Kälte ganz rot, während der Rest seines Gesichts bleich vor Müdigkeit und wahrscheinlich auch Angst war.
    Die erste Aufgabe hatte Rusk, wie ich sofort erkannte, unverändert den Beispielen im Lehrbuch entnommen. Ich hätte das Ergebnis direkt hinschreiben können, aber er bestand darauf, dass alle Nebenrechnungen beigefügt wurden, sodass er den Lösungsweg nachvollziehen kon n te. Ich arbeitete zügig, schrieb jede Aufgabe sofort mit, wenn er sie an die Tafel schrieb, und dankte während des Rechnens mehrmals im Geiste meinem Vater dafür, dass er mich so gut auf das erste Akademiejahr vorbereitet hatte.
    Mitten im Test passierte es dann. Ich hörte ein leises Knacken, und unmittelbar darauf schoss Gords Hand in die Höhe. Rusk seufzte. »Ja, Kadett?«
    »Ich habe aus Versehen meinen Bleistift zerbrochen, Sir. Darf ich mir einen leihen?«
    Rusk seufzte erneut. »Ein gut vorbereiteter Soldat hä t te einen Ersatzbleistift mitgebracht. Sie können sich nicht immer auf Ihre Kameraden verlassen, sollten aber stets dafür Sorge tragen, dass die sich auf Sie verlassen kö n nen. Hat jemand zufällig einen Ersatzbleistift für den Kadetten Lading dabei?«
    Spink hob den Finger. »Ich, Sir.«
    »Dann leihen sie ihm den, Kadett. Fahren Sie bitte mit Ihrem Test fort.«
    Gordon beugte sich zu Spink hinüber, um den Bleistift entgegenzunehmen. Dabei stieß er mit seinem fetten Wanst gegen sein Pult, und dieses stieß wiederum gegen Spinks Pult. Sowohl Spinks als auch Gords Blätter sege l ten auf den Boden und landeten unter Spinks Pult. Spink bückte sich, sammelte die Blätter auf und gab die von Gord diesem zusammen mit dem Bleistift zurück. Ich beobachtete das Ganze aus dem Augenwinkel. Und ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob Spink Gord wir k lich jedes seiner Blätter zurückgab.
    Hauptmann Rusk ließ den Vorfall unkommentiert und setzte seine gemächliche Runde durch das Klassenzi m mer fort. Ich hörte, wie meine Klassenkameraden au f stöhnten, als er sagte: »Sie sollten mit diesen Aufgaben allmählich fertig sein«, und die Tafel abwischte. Sofort danach begann er, einen neuen Satz Aufgaben anz u schreiben. Ich saß da und fühlte mich paralysiert und elend – nicht wegen der Matheaufgaben, die hatte ich alle gelöst, sondern wegen meiner Unsicherheit. Hatten sie geschummelt? Hatten sie dieses Manöver geplant? Hatte ich eine Ehrenpflicht, die Hand zu heben und Hauptmann Rusk zu informieren, dass sie möglicherweise geschu m melt hatten? Und wenn sie es nicht hatten? Wenn es ta t sächlich bloßer Zufall gewesen war? In dem Fall hätte ich die neun Männer meiner Gruppe zur Relegation von der Akademie verdammt. Wir würden alle ausgesondert werden, weil ich einen Verdacht gehabt hatte. Ich em p fand einen jähen Abscheu vor Trist, der so eifrig auf se i nem Blatt kritzelte. Ohne seinen schrecklichen Vorschlag wäre ich niemals auch nur auf die Idee gekommen, dass Gord oder Spink dazu fähig sein könnten, bei einer Kla s senarbeit zu mogeln. Ich erwachte erst wieder aus meiner Starre, als Hauptmann Rusk mich fragte: »Kadett Burve l le? Sind Sie schon fertig?«
    Seine Worte holten mich in die Gegenwart zurück, und ich

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