Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Hauptmann Maw erzählen sollte. Ob ich ihm sagen sollte, dass all unsere Träume zunichte gemacht worden waren. Ich schob den Geda n ken von mir weg. Ein Teil von mir klammerte sich i m mer noch verzweifelt an die Hoffnung, wir könnten auf der Akademie eine Zukunft haben. Schon jetzt darüber zu reden, dass wir ausgesondert wären, erschien mir i r gendwie voreilig, als würde ich das Unglück dadurch, dass ich es laut aussprach, erst heraufbeschwören. Meine Gedanken wechselten zu einem Thema, das nur gerin g fügig weniger unschön war. »Wenigstens hattest du eine bessere Nacht als ich«, sagte ich, und dann erzählte ich ihm von meiner angenehmen Heimfahrt mit Caulder. Ich hatte gedacht, er würde die Geschichte lustig finden, aber er machte ein sehr ernstes Gesicht.
»Du hast ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, aber wir alle wissen, was für eine miese kleine Ratte Caulder ist. Er wird es dir nicht danken. Ganz im Gegenteil.«
Unser Gespräch wurde dadurch unterbrochen, dass Oron verspätet im Speisesaal eintrudelte. Er war noch blasser als gewöhnlich, abgesehen von den dunklen Rä n dern unter seinen Augen. Seine Hände zitterten leicht, als er sich sein Essen auf den Teller häufte. Er schenkte uns ein mattes Lächeln. »Es hat sich jedenfalls gelohnt«, b e antwortete er unsere ungestellte Frage.
»Ist Rory noch einmal zu der Fleckfrau zurückgega n gen?«, fragte ich ohne Umschweife.
Oron senkte den Blick auf seinen vollen Teller. »Ja, er und Trist«, sagte er. Nach einem kurzen Zögern fügte er mit einem leicht verlegenen Lächeln hinzu: »Nun ja, e i gentlich wir alle. Es war phantastisch.«
Ich glaube nicht, dass Spink wusste, wovon wir red e ten. »Nun, der ganze Dunkelabend war fantastisch!«, stimmte er zu. Seine Begeisterung ü berraschte mich. Er war so gutgelaunt, dass ich es kaum ertragen konnte, ihn anzuschauen. Es war, als hätte er die Aussonderung, die noch immer über unseren Häuptern schwebte, völlig ve r gessen. »Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas gesehen«, schwärmte er weiter. »Ich hätte nicht geglaubt, dass es auf der Welt überhaupt so viele Menschen gibt. Ich habe noch nie solche Menschenmassen gesehen und solch wohlschmeckende Dinge gegessen. Ich habe eine Frau gesehen, die nur mit Papiergirlanden bekleidet war! Der Mann, den sie bei sich hatte, war wie ein Wilder g e kleidet; er trug lediglich Schnüre mit Blättern dran. Die beiden tanzten so wild, dass ich einen richtigen Schreck bekam! Ach, und seid ihr auch im Zirkus gewesen? Habt ihr den Tigerbändiger gesehen mit seinen großen Rau b katzen, die durch brennende Reifen sprangen? Und dann die Schaubude! Das arme kleine Mädchen, das anstelle von Armen Flossen hatte! Ach, und während ich in dem Zelt war, machten die Fleck etwas ganz Außergewöhnl i ches und führten den Staubtanz auf! Es war toll! Ihr Au f seher sagte, so weit im Westen wäre dieses Spektakel noch nie zu sehen gewesen. Und …«
»Das Gleiche haben sie auch gemacht, als ich da war.« Mir ging plötzlich ein Licht auf. »Das war alles bloß ein Trick, Spink. Er sagt wahrscheinlich immer, dass sie das sonst nie machen, und sie machen es wahrscheinlich bei jeder Vorführung. Auf diese Weise erweckt er den Ei n druck, jede Aufführung wäre eine einmalige Sensation.«
»Oh!« Spink machte ein ganz enttäuschtes Gesicht.
Oron, der uns gegenübersaß, nickte weise. »Ich wette, die meisten Schaustücke in dem Zelt waren Schwindel.«
»Ich habe mich mit dem dicken Mann unterhalten, und er behauptete, früher einmal Kavallaleutnant gewesen zu sein. Glaubt ihr das?«, fragte ich die beiden.
Oron grunzte belustigt. »Klar doch. Unter dem würde doch jeder Gaul sofort zusammenbrechen.«
Spink schaute so geknickt aus, dass ich mir beinahe wünschte, ich hätte mein Wissen für mich behalten. Er beschämte mich weiter, als er sagte: »Mir hat er das Gleiche erzählt, und ich hatte Mitleid mit ihm. Wir haben ihm ein bisschen Geld gegeben.«
»Ihr Landeier glaubt aber auch jeden Quatsch!«, rief Oron, und dann stöhnte er und fasste sich an den Bauch. »Ich glaube, ich fühle mich doch nicht so fit, wie ich dachte. Ich hau mich wieder in die Falle, Jungs.«
Er verließ den Tisch, und Spink und ich folgten ihm kurze Zeit später. Spink sah nicht gerade wie das blühe n de Leben aus, und ich vermutete, dass ich genauso blass war wie er. Ich begleitete ihn zurück auf unser Zimmer, wo die meisten immer noch im Bett lagen oder träge he r
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