Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
heute Nachmittag wird er wissen, auf welch a b scheuliche Art und Weise Sie seinem Namen Schande gemacht haben.«
»Ich habe das nicht getan«, sagte ich, aber meine Stimme zitterte und war ohne Überzeugungskraft. Meine Eingeweide schienen sich in meinem Bauch zu winden, und ich spürte einen höllischen Krampf in der Seite. Ich konnte nicht mehr. Ich fasste mir an den Bauch. »Sir, mir ist übel. Ich bitte um die Erlaubnis zu gehen.«
»Die haben Sie. Nehmen Sie Ihre Entlassungspapiere mit. Ich will Sie nie wieder in diesem Büro sehen.«
Er schob mir das Blatt in meine schlaff herunterhä n gende, halb geöffnete Hand. Ich hielt es mir gegen me i nen revoltierenden Magen, während ich aus dem Zimmer torkelte. Im Vorzimmer starrte mich der Sekretär des Obersten an, als ich wortlos an ihm vorbeiwankte. Ich hastete durch die Tür und die Treppe hinunter. Sergeant Rufet wartete mit ungerührter Miene auf mich. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und stapfte Richtung Wohnheim, aber schon nach wenigen Schritten geriet ich ins Taumeln. Ich wurde von einem starken Schwindelg e fühl ergriffen und musste stehenbleiben.
Sergeant Rufet sagte leise: »Das muss ja eine ganz schöne Standpauke gewesen sein. Hat Ihnen offenbar mächtig zugesetzt. Kopf hoch, Kadett. Seien Sie ein Mann.«
Seien Sie ein Mann. Was für ein törichter, sinnloser Rat. »Jawohl, Sergeant.« Ich ging weiter. Mir drohte immer noch, schwarz vor Augen zu werden. Ich würde nicht ohnmächtig werden. Noch nie hatte eine schlimme Nachricht eine solch tiefgreifende körperliche Wirkung auf mich gehabt. Mein Magen brodelte vor Säure, und mein Kopf raste. Ich konzentrierte mich auf den Pfad vor mir und taumelte weiter.
»Na? Wie viele Strafrunden müssen Sie drehen?«, fragte mich Rufet. Sein Ton war freundlich, wie als wolle er mich ein bisschen aufmuntern, aber ich glaubte auch eine Spur von Besorgnis aus ihm herauszuhören.
Ich fand kaum Atem, um ihm zu antworten. »Ich we r de überhaupt keine Runde mehr drehen«, brachte ich heraus, wobei ich mich meiner zitternden Stimme schä m te. »Ich bin soeben unehrenhaft entlassen worden. Sie schicken mich mit Schimpf und Schande nach Hause. Ich werde niemals Soldat sein, geschweige denn Offizier.«
Der Sergeant blieb überrascht stehen. Ich glaube, er dachte, ich würde auch stehenbleiben, aber ich ging we i ter. Ich fürchtete, ich würde sonst womöglich zusa m menbrechen. Immer schön einen Fuß vor den anderen. Er holte mich ein und fragte mich mit tonloser Stimme: »Was haben Sie getan, Kadett, dass Sie das verdient h a ben?«
»Nichts. Caulder hat mich wissentlich falsch bezic h tigt. Er hat seinem Vater gesagt, ich hätte ihn am Du n kelabend betrunken gemacht. Aber das ist gelogen. Ich war bloß derjenige, der ihn nach Hause geschafft hat.« Als der Sergeant darauf nichts sagte, fügte ich erbittert hinzu: »Seine Freunde von altem Adel waren es, die ihn in die Stadt mitgenommen und betrunken gemacht haben. Sie wollten, dass er ohnmächtig wird, d amit sie ohne ihn in irgendein Hurenhaus gehen konnten. Ich habe sie da r über reden hören. Diese Schweine haben ihn einfach auf der Straße liegenlassen. Er hätte erfrieren können. Ich hab ihn aufgelesen, ich habe dem Befehl des Doktors gehorcht, ich habe ihn nach Hause geschleppt, und jetzt bin ich derjenige, der rausgeschmissen wird. Und alles nur, weil ich der Sohn eines neuen Edelmanns bin.«
»Caulder!« Der Sergeant stieß das Wort heraus, als sei es ein Schimpfwort. Dann fügte er mit leiser, giftig kli n gender Stimme hinzu: »Neuer Adel, alter Adel, das ist alles, was ich höre, aber ich sehe nicht den leisesten U n terschied. Für mich ist das alles ein und derselbe Haufen. Für mich ist jeder so genannte Hochwohlgeborene, ob er nun aus dem alten Adel kommt oder dem neuen, dazu ausersehen, mich herumzukommandieren. So grün hinter den Ohren euer ganzer verdammter Haufen noch ist, in drei Jahren poliert ihr eure Leutnantsstreifen blank, wä h rend ich immer noch an meinem verdammten Tisch sitze und den Aufpasser für euch spielen muss.«
Eine Welle neuen Elends brandete über mich hinweg. Wie oft war ich an dem Tisch des Leutnants vorbeig e kommen, ohne innezuhalten und mir Gedanken darüber zu machen, was der Sergeant wohl von uns halten moc h te. Ich schaute ihn an. Da ging er nun neben mir her, ein gestandener Mann, der zahllose Dienstjahre auf dem Buckel hatte, und nach zwei Jahren auf der Akademie würde ich rangmäßig über ihm
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