Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Skalplo c ke.
Er kämpfte mit mir um die Kontrolle über seine Hä n de! Ich versuchte, den lächerlichen Haarschopf zu erh a schen, aber er ballte die Hände zu Fäusten. Verzweifelt schlug ich ihm mit beiden Hände auf den Kopf, aber es fehlte mir an Kraft, und es gelang mir auch nicht, seine Finger hochzubiegen. Spink hatte uns jetzt passiert und bewegte sich auf einen Baumstumpf zu. Epiny schwebte hinter ihm her. Sie schlug nach wie vor mit den Händen nach seinem Gesicht, vermochte ihn aber nicht aufzuha l ten. Seine Augen schienen voller Kummer, als fühle er sie, aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Da kam mir plötzlich eine Eingebung. Mein anderes Ich kontrollierte die Hände, aber es hatte nichts unterno m men, um seine Stimme vor mir zu schützen. Ich ließ ihn sprechen.
»Epiny!«, schrie ich. »Reiß mir das Haar aus. Das wird mich befreien. Rupf mir diesen Schopf heraus!«
Sie hörte, was ich sagte. Ich befürchtete, sie würde es seltsam finden, dass ich sie aufforderte, mich anzugre i fen, aber sie gehorchte mir ohne zu zögern. Zumindest versuchte sie es. Sie flog über mein anderes Ich. Ihre A t tacke war ohne jede Wirkung. Sie griff nach seinem Haarschopf, aber der bewegte sich nicht einmal, als ihre Hände durch ihn hindurchgingen. In dieser Welt war sie ein körperloser Geist, der gegen das, was hier Gestalt hatte, machtlos war. Er lachte nur und griff einfach durch Epiny hindurch, um Spink zu erhaschen.
So sinnlos es auch war, ich wusste, dass ich ihn he r ausfordern würde. Die einzige vorhandene Waffe war der Kavallasäbel, der in der Erde steckte und das Halteseil der Brücke sicherte. Es war die Waffe, die Dewara mich einst gegen die Baumfrau zu erheben geheißen hatte. Wie sehr ich mir in diesem Moment wünschte, ich hätte d a mals auf ihn gehört! Ich packte den Griff und zog mit aller Kraft. Und es gelang mir tatsächlich, den Säbel aus der Erde und dem Stein, der sie festhielt, herauszuziehen. Ich hatte vor, mein anderes Ich anzugreifen, auch wenn ich keinen Zweifel daran hatte, dass die Baumfrau mich mühelos zurückschlagen würde. Aber ich musste es ve r suchen.
In dem Moment, als meine Hand die Klinge aus dem Boden zog, passierte etwas Eigenartiges. Die Baumfrau stieß einen gewaltigen Schrei des Entsetzens aus, und gleichzeitig fühlte ich, wie mich Kraft durchströmte. E i senmagie. Die Magie meines Volkes war in meiner Hand. Die Baumfrau hatte mich diese Magie hierher bringen lassen, um sie für ihre eigenen Zwecke zu benu t zen. Jetzt würde ich sie für die meinen einsetzen. Als das Seil sich löste, schrie mein anderes Ich entsetzt auf. Es hob die Hände zu seinem Skalpschopf – der Zopf hatte begonnen, sich zu lösen.
In dieser Sekunde war meine Wahrnehmung allumfa s send. Ich wandte mich zu der Brücke um. Die goldenen Strähnen meines Haars, die sich mit den grünen Ranken der Baumfrau verwoben hatten, lösten sich von i hnen. Fast wirkten sie lebendig, als sie sich aus dem Grün he r ausschlängelten und hinunter in den Abgrund schwebten. Die Brücke begann auf meiner Seite abzusacken. Fast alle Geister, die umgekehrt waren, hatten inzwischen die andere Seite erreicht. Ich wusste nicht, was sie dort m a chen würden; ich wusste nicht, ob sie ins Leben zurüc k kehren oder Frieden in dem Teich suchen würden, in dem die anderen Geister verschwunden waren. Ich wusste nur eines ganz sicher: dass ich den Übergang, den ich una b sichtlich erschaffen hatte, wieder zerstören musste. Keine Weiteren meiner Kameraden würden mehr dazu ve r dammt sein, in die Welt der Baumfrau hinüberzuwec h seln. Ich wandte mich wieder der Brücke zu, schwang den Säbel und durchtrennte die Ranken, die die anderen Träger der Brücke bildeten. Die Baumfrau schrie vor Schmerz und vor Wut.
Während die Brücke in sich zusammenfiel, hörte ich, wie mein anderes Ich einen gellenden Schrei ausstieß. Ich wandte mich zu ihm um; meine Eisenmagie lag schwer und kalt in meiner Hand. Es – er – fiel in sich zusammen wie ein leerer Weinschlauch. Von der Stelle, an der der Schopf gewesen war, stieg blasser Rauch auf. Meine Gesichtszüge schwanden aus seinem sich aufl ö senden Gesicht. Die Baumfrau schrie und reckte sich nach ihm, aber sie konnte ihn nicht erreichen. Sie war nicht in der Lage, die Reihe aus lebenden Bäumen zu verlassen. Er sackte zu einem Haufen aus Lehm und Laub zusammen. Ich fühlte mich auf seltsame Art und Weise wiedererstarkt. Etwas, das mir lange Zeit gefehlt
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