Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Nachfolger mit so l chen Einzelheiten zu behelligen. Tu einfach so, als wäre nichts geschehen. Und falls irgendjemand dumm und niederträchtig genug sein sollte, um zu versuchen, dich aus der Akademie zu werfen, dann wehr dich dagegen. Mit Zähnen und Klauen.«
Das Letzte nahm ich kaum noch wahr. Ich grübelte immer noch über ihren Vorschlag nach. »Ich soll einfach so tun, als sei nichts geschehen? Aber das … das wäre doch unehrenhaft.«
»Nein, du Dummerchen. Unehrenhaft, das ist, wenn ein verzogenes Kind Lügen über dich erzählt und dafür sorgt, dass du unehrenhaft entlassen wirst.« Sie stand plötzlich auf und schockierte mich, indem sie sich über mich beugte und mir einen Kuss auf die Stirn gab. »Das ist mehr als genug für einen Tag. Denk nach über das, was ich dir gesagt habe, und schlaf eine Nacht darüber. Und tu wenigstens einmal das, was vernünftig ist.«
Sie gab mir keine Gelegenheit, ihr zuzustimmen, so n dern ging ans Fenster, zog die Vorhänge zu, damit es dunkel im Raum wurde, und ließ mich dann allein. Ich konnte nicht schlafen. Meine Gedanken rasten. Ich r ec h nete mir meine Chancen aus wie ein Spieler. Sergeant Rufet hatte Bescheid gewusst, aber er war tot. Der Do k tor wusste es, aber da er es nicht erwähnt hatte, musste er meine Worte wohl vergessen haben. Und natürlich wus s ten es Oberst Stiet und Caulder. Aber würden sie noch eine Weile in der Akademie bleiben, oder würden sie schnell ausziehen und abreisen, damit Oberst Rebin das Wohnquartier beziehen konnte? Und wenn Letzteres der Fall war, wie groß war dann die Chance, dass es noch ans Licht kommen konnte? Dass der Oberst in all dem Ch a os, das mit dem Ausbruch der Seuche einhergegangen war, noch die Muße gehabt haben sollte, einen Vermerk über meine unehrenhafte Entlassung einzutragen, konnte ich mir kaum vorstellen. An diesem Tag hatte er wahrlich andere Sorgen.
Vielleicht täuschte ich mich in diesem Punkt aber auch. Ich entschied nüchtern, dass es töricht war, darauf zu hoffen, dass er es vergessen hatte. Ebenso töricht wäre es freilich gewesen, nicht zu versuchen, die Entlassung einfach zu ignorieren. Was konnte mir Schlimmeres pa s sieren, als dass Oberst Stiet mich ein zweites Mal une h renhaft entließ? Ich beschloss also, Epinys Rat zu behe r zigen und niemandem gegenüber etwas von der Entla s sung zu erwähnen.
Vielleicht beschleunigte die zarte Hoffnung, die ich hegte, meine Genesung. Es kam der Tag, an dem ich mich ohne fremde Hilfe aus dem Bett erheben konnte. Und schon bald erlaubte der Arzt mir, normales Essen zu mir zu nehmen anstelle der faden Suppen, von denen ich mich seit meinem Wiedererwachen hatte ernähren mü s sen. Mein Appetit kehrte mit Macht zurück, und zur Freude meiner Krankenpflegerin langte ich bei jeder Mahlzeit herzhaft zu und bekam schnell wieder Fleisch auf die Rippen. Meine Muskulatur war während meiner Bettlägerigkeit geschwunden; sie wieder zu ihrer einst i gen Kraft und Substanz aufzubauen würde viel Zeit und Mühe kosten. Ich war noch lange nicht soweit, dies in Angriff zu nehmen, aber nachdem eine weitere Woche vergangen war, war ich nicht nur in der Lage, mit Purissa durch die Gartenanlage meines Onkels zu schlendern, sondern auch schon dazu, mit Epiny im Schritttempo durch den Park zu reiten. Ich hatte nicht einmal etwas dagegen, dass sie mir ihre fromme Stute zuwies, während sie selbst Sirloffy ritt.
In jenen Tagen war das Haus meines Onkels kein glücklicher Ort für mich. Ich nahm meine Mahlzeiten nicht im Kreise der Familie ein, s ondern aß allein in me i nem Zimmer, froh darüber, dass ich mich mit meinem immer noch nicht abgeschlossenen Genesungsprozess entschuldigen konnte. Mein Onkel sprach wenig über den Kummer, den Epiny ihrer Familie bereitet hatte; dafür sprach sie umso offener mit mir darüber, und das au s führlicher, als mir lieb war. Es tat mir leid, dass ich die indirekte Ursache für die Drangsal meines Onkels war, doch zugleich freute ich mich in einem stillen Winkel meiner Seele darüber, dass wenigstens Spink das Glück haben würde, eine Frau zu bekommen, die ihn abgöttisch liebte und fest zu ihm stand. Ich fürchtete, dass sein L e ben ihm ansonsten nicht viel Tröstliches zu bieten haben würde.
Die Hochzeit fand im engen Familienkreise statt und war so schmucklos und bescheiden, dass man sie fast als trist hätte bezeichnen können. Spinks älterer Bruder hatte die Reise auf sich genommen, um der Zeremonie beiz u wohnen und, wie
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