Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Priester den Willen des gütigen Gottes kennen. Aber ich glaube …« Epiny hielt jäh inne und machte ein ske p tisches Gesicht.
»Was glaubst du?«, hakte ich nach.
»Ich glaube, dass verschiedene Priesterorden große Spenden erhalten haben. Und in einigen Fällen wurden Priestersöhne in den Stand von Erben erhoben. Sie we r den mit einer Sondererlaubnis beide Funktionen a usfü l len.« Für einen Moment zog sie die Stirn kraus. Nac h denklich nahm sie ihre Pfeife und steckte sie sich in den Mund, ganz so, wie ein Mann sich gedankenverloren se i ne Tabakspfeife anzünden würde. Sie blies auf ihr, ganz sanft, so dass sie einen leisen Ton hervorbrachte, und sagte dann: »Ich glaube, es ist wohl alles eine Frage von Einfluss und Macht und Reichtum. Priester sind auch nur Menschen, Nevare.«
Ich mochte nicht über die Konsequenzen nachdenken, die sich daraus ergaben. Ich deutete auf die Pfeife. »Ich dachte, du hättest dieses blöde Ding Spink gegeben.«
Sie blies wieder einen langen, leisen Ton und spie sie dann aus. Sie lächelte mich merkwürdig an und beugte sich weiter über mein Bett. »Und wieso hast du das g e dacht?«, fragte sie mich leise.
»Weil ich ihn damit gesehen habe«, antwortete ich, verärgert über ihr plötzliches geheimnisvolles Getue, und dann erinnerte ich mich plötzlich, wo ich ihn mit der Pfeife gesehen hatte.
»Ich habe mich gefragt, an wie viel du dich erinnern würdest«, sagte sie nachdenklich.
Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Das wollte ich s a gen, aber ich brachte es nicht über die Lippen. Dieses Leugnen, wurde mir plötzlich bewusst, war eine Hinte r lassenschaft der Spaltung, die die Baumfrau mir angetan hatte. Ich wusste sehr wohl, wovon Epiny redete. Ich war immer noch dabei, die Stücke von mir zusammenzufügen und miteinander in Einklang zu bringen. Manchmal e r wachte ich und war von tiefer Trauer darüber erfüllt, dass ich meine Geliebte und Mentorin getötet hatte. Dann wieder wünschte ich fast, ich könnte glauben, dass alles nur ein Fiebertraum und eine Halluzination gewesen war.
Epiny lächelte kummervoll angesichts meines Schweigens. »Fällt es dir immer noch so schwer, es ei n zugestehen, Nevare?«, fragte sie mich. »Dann will ich es dir auch nicht abnötigen. Ich möchte dir nur sagen, dass du nicht nur dich selbst gerettet hast, sondern auch Spink und mich. Erst als du auf den Plan getreten bist, sah ich plötzlich, dass einige Dinge Bindeglieder zwischen di e ser Welt und jener waren. In deinem Fall waren es dein Haar und dein Säbel. Als du die Brücke zertrenntest, schnittst du sie von unserer Welt ab, nicht wahr? Meine Aufgabe war eine andere. Spink und ich waren bereits gebunden. Ich musste das ergreifen und festhalten, das uns mit dieser Welt verband. In unserem Fall war es die imaginäre Pfeife, die er in seinem Geiste trug. Er hielt sich in j ener Welt daran fest, und als ich aus meiner Trance aufwachte, hielt ich die Kette an meinem Hals fest umklammert. Aber Spink war mit mir gekommen. Ich setzte mich vom Boden auf und stellte zu meiner großen Freude fest, dass ihr beide atmetet, wenn auch nur sehr schwach und unregelmäßig. Die Krankenpflegeri n nen waren schockiert. Es war nämlich schon das zweite Mal, dass sie dich für tot erklärt hatten. Ich glaube, ihr wart länger im Reich der Toten, als ihr es unter normalen Umständen vermocht hättet. Unter normalen Umständen hätte das niemand so lange überleben können.« Sie beu g te sich noch dichter zu mir herüber und fügte beinahe im Flüsterton hinzu: »Ich glaube, du hast mehr getan, als du beabsichtigt hattest. Vor unserer Rückkehr schnappten noch mehrere Kadetten aus deinem Flur ebenfalls fast gleichzeitig nach Luft. Ich glaube, indem du die Brücke durchtrenntest, schicktest du die Seelen, die sich auf ihr befanden, in ihre Körper zurück.«
»Ich finde diese Geschichte absurd.« Und das tat ich wirklich. Aber ich lächelte sie an, als ich das sagte.
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Schließlich lehnte sie sich erneut vor, und bevor ich reagieren konnte, zog sie einmal kurz und kräftig an meinem Haar in der Mitte des Kopfes. »Nicht so absurd wie das hier!«, sagte sie. »Die Narbe war verschwunden, als du aufwachtest, N e vare. Das ist mir sofort aufgefallen. Was sie dir geno m men hatte, hast du dir zurückgeholt. Und wenn ich dich jetzt so anschaue, sehe ich keine Spur mehr von ihrer Aura. Dafür ist deine eigene jetzt weit stärker als vorher. Und ja,
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