Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
e büchern nicht anvertraut. Er hatte geschrieben, wie ein Soldat schreiben sollte – klar, knapp, präzise, leide n schaftslos. Er ritt in die Schlacht, er kämpfte gegen den Feind, er siegte, und am Tag darauf ritten er und seine Truppe weiter. In seinen Berichten war viel von Krieg und nur sehr wenig vom Leben die Rede. Ich stellte die Tagebücher meines Vaters zurück ins Regal und zog aufs Geratewohl mehrere von den älteren heraus. Was ich dort fand, waren mit – inzwischen verblasster – Tinte hing e kritzelte Berichte, die vom Tod handelten. Ich bewunde r te Epiny dafür, dass sie das hatte entziffern können. Vi e les von dem, was ich las, war schlicht fade, und es übe r raschte mich, dass das Geschäft des Tötens zu etwas so Alltäglichem werden konnte, dass es langweilig wurde.
In den frühen Morgenstunden kam mein Onkel mit e i ner Kerze herunter und traf mich dort an. »Dann habe ich mich also doch nicht getäuscht, als ich glaubte, hier u n ten Geräusche gehört zu haben«, begrüßte er mich.
Ich stellte die Tagebücher, die ich zuletzt durchgeblä t tert hatte, wieder ins Regal zurück. »Entschuldige, O n kel, ich wollte dich nicht wecken. Ich konnte nicht schl a fen und bin hinuntergegangen, um ein bisschen zu l e sen.«
Er lachte trocken. »Also, wenn diese Tagebücher dich nicht zum Einschlafen gebracht haben, dann wüsste ich nichts, was das sonst noch könnte.«
»Ja, Sir, da bin ich ganz deiner Meinung.« Und dann standen wir etwas verlegen da.
»Ich freue mich, dass du dich so gut erholt hast«, brach mein Onkel schließlich das peinliche Schweigen.
»Ja, Sir. Ich habe vor, morgen zur Akademie zurüc k zukehren. Dürfte ich deine Kutsche benutzen?«
»Ich glaube, du solltest selbst dorthin reiten, Nevare. In den Akademie-Stallungen wird es jetzt einen Platz für Sirlofty geben. Erst gestern hat Oberst Rebin eine große Versteigerung durchgeführt, auf der er die Akademi e pferde losgeschlagen hat, die Oberst Stiet angeschafft hatte.« Er lächelte. »Er pries sie als besonders geeignet als Reitpferde für ängstliche Damen und kleine Kinder‹ an. Ich glaube, er war nicht sonderlich beeindruckt von Oberst Stiets Pferdewahl.«
»Das glaube ich auch, Sir.« Ich ertappte mich dabei, dass ich sein Lächeln erwiderte. Es war etwas so schei n bar Unbedeutendes, mein eigenes Pferd in unseren Fo r mationen reiten zu können, und doch hob es meine Laune beträchtlich.
Mein Onkel lachte leise, und dann sagte er: »Sir hin, Sir her. Bin ich nicht mehr dein Onkel, Nevare?«
Ich senkte den Blick. »Nach all dem Kummer, den ich über dein Haus gebracht habe, war ich mir nicht mehr sicher, wie du mir gegenüber empfindest.«
»Wenn du es warst, der Epiny hierher gebracht hat, dann ist mir das entgangen, Nevare. Nein. Meinen Kummer habe ich mir selbst zu verdanken, weil ich sie als Kind viel zu sehr verwöhnt habe. Ich war viel zu nachsichtig mit ihr, und ich habe es mir selbst zuz u schreiben, dass ich sie verloren habe. Ich frage mich, ob ich sie wohl jemals wiedersehen werde. Es ist ein weiter Weg bis nach Bitterspringe, und dort erwartet sie ein ha r tes Leben.«
»Ich glaube, sie ist dafür gerüstet, Sir – Onkel Sefert.« In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich glaubte, was ich sagte.
»Das denke ich auch. Nun denn. Dann wirst du uns a l so morgen verlassen. Ich weiß, dass wir zuletzt wenig voneinander gehabt haben, aber ich werde dich trotzdem vermissen. Ich erwarte also immer noch, dass du deine freien Tage hier bei uns verbringst.«
»Wird das deiner Frau Gemahlin auch angenehm sein, Onkel Sefert?« Ich stellte die Frage unverblümt. In dieser Hinsicht wollte ich Klarheit.
»Meiner Frau Gemahlin ist zur Zeit überhaupt nichts angenehm, Nevare. Lassen wir sie also aus dem Spiel, ja? Das nächste Mal, wenn du w ieder frei hast, können du und Hotorn und ich ja vielleicht mal rausfahren und ein bisschen zusammen schießen, was meinst du? Ich glaube, ich würde gerne mal einen kleinen Urlaub außerhalb der Stadt verbringen.«
»Das würde mir auch sehr gefallen, Onkel Sefert.«
Er nahm mich in den Arm und drückte mich, bevor wir uns für das, was noch von der Nacht übrig war, ve r abschiedeten, und am nächsten Morgen winkte er mir zum Abschied, als ich auf Sirlofty losritt. Er versprach, mir mein Gepäck binnen einer Stunde mit der Kutsche nachzusenden.
An jenem Morgen stand ich früh auf und kleidete mich in meine Uniform. Sie schien mir etwas knapper zu si t zen als
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