Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
Waffe haben? Ich glaube kaum, dass die Wachen in solchen Einrichtungen bewaffnet sind.«
Jetzt wünschte ich, ich wäre an der Toilettentür geblieben, um jedes Wort zu belauschen. »Was haben sie außer Sagebrush noch alles erzählt? Haben sie dir meinen Namen gesagt?«
»Katie. Wie du auf die Serviette geschrieben hast.«
»Und meinen Nachnamen?« Das erscheint mir etwas zu sein, woran ich mich festhalten könnte. Ein weiteres Teilchen des Puzzles, das mich ausmacht.
»Wenn ja, dann habe ich ihn vergessen. Ich war damit beschäftigt zu entscheiden, ob ich ihnen von dir erzählen soll oder nicht. Aber sie hatten ein Foto von dir.«
»Ein Foto? Wie habe ich darauf ausgesehen?« Ich denke an meine Familie. »War außer mir noch jemand darauf?«
»Es war ziemlich pixelig. Als wäre es aus dem Internet ausgedruckt worden oder so.« Ty hebt die Arme mit geballten Fäusten über den Kopf und setzt ein Grinsen auf. »Es hat so ausgesehen. Als würdest du einen großen Sieg feiern.«
Ich will so gern wieder dieses Mädchen sein. Das Mädchen, das ich einmal war. Das Mädchen, das lächelte und etwas zu feiern hatte. Das Mädchen, an das ich mich nicht mehr erinnere.
Inzwischen kann ich wieder leichter atmen, trotzdem fühle ich mich immer noch wie eine Ratte in der Falle. »Kannst du mir einen Gefallen tun? Draußen auf dem Parkplatz steht ein blauer Honda-Geländewagen, etwa in der fünften Reihe, fünfundvierzig Grad links. Kannst du sehen, ob der noch da ist? Dann gehe ich. Versprochen.«
Ty schiebt die Tür auf. Kurz darauf ist er wieder zurück und schüttelt den Kopf. »Er steht noch da, aber das wird dir nicht helfen. Drei Typen durchsuchen ihn gerade – die beiden, die nach dir gefragt haben, und noch ein dritter.«
Am liebsten würde ich mich auf den Boden setzen und einfach aufgeben. »Dann wissen sie, dass ich in einem dieser Läden hier bin. Allerdings sind die meisten davon inzwischen wahrscheinlich geschlossen. Sie werden nicht aufhören, nach mir zu suchen. Und sie werden mich finden.«
»Es gibt hier noch andere Orte, an denen du sein könntest.« Er blickt zur Decke und denkt nach. »Im Kino laufen ungefähr acht Filme und das Ben and Jerry’s ist noch offen. Und die Kleinbrauerei mit Schenke auf der anderen Seite macht erst um zwölf zu. Aber du hast recht, allzu viele Orte sind das nicht.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Ich massiere meine Schläfen. Die Kopfschmerzen sind wieder da und das Essen, das so gut geschmeckt hat, droht, wieder hochzukommen. »Sobald ich diese Toilette verlasse, werden sie mich sehen. Draußen im Restaurant gibt es nichts als Fenster.«
Ty neigt den Kopf, denkt nach und nickt dann. »Ich habe eine Idee.«
12
TAG 1, 21:36 UHR
G laubst du wirklich, du kannst mich hier rausbringen, ohne dass es die Männer bemerken?«, frage ich Ty. »Aus dem McDonald’s oder aus dem Einkaufszentrum?«
Seine dunklen Augen schauen mich direkt an. »Aus beidem.«
Ich wende meinen Blick ab. »Ich weiß nicht.« Was mache ich da eigentlich? Wie kann ich den Kerl, der abends den McDonald’s abschließt, in meine Probleme hineinziehen? Selbst mit der Waffe liegen die Chancen, dass ich am Ende tot bin, bei schätzungsweise hundert Prozent. »Es ist gefährlich für dich, mir zu helfen. Ich meine, diese Männer … sie wollen mich wirklich umbringen. Wenn du dich da einmischst, könntest du verletzt werden. Vielleicht sogar umgebracht!«
Ty hört mich die Worte sagen, aber ich merke, dass er sie nicht glaubt. Vielleicht würde ich das auch nicht, wenn mich nicht irgendein Typ in den Wald geschleift hätte. Sobald ich aufgehört habe zu reden, fängt er an zu sprechen.
»Hör mal, klar ist, dass du meine Hilfe brauchst. Sonst kannst du ja gleich mit erhobenen Händen aus dieser Tür gehen.«
Ich bin so erschöpft und deswegen fast versucht zu tun, was Ty da gerade vorschlägt, auch wenn er es nicht so meint. Hinausgehen und mich ergeben. So tun, als wäre dann die nächste Station ein sauberes weißes Bett in der psychiatrischen Klinik Sagebrush. Anstatt eines matschigen Grabes im Wald.
Dann fallen mir die rosa-weißen Plättchen wieder ein, die einmal meine Fingernägel waren. Wenn ich mich ergebe, passiert mir vielleicht noch Schlimmeres, als eine Kugel in den Kopf zu bekommen. »Okay. Wie lautet dein Plan?«
Fünf Minuten später schiebt Ty eine große, viereckige braune Mülltonne in den Toilettenraum. Sie passt kaum durch die Tür. Ich öffne den Deckel. Ty hat einen
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